Eindrücklich

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lifeistardisblue Avatar

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Dement? Die eigene Mutter? Das erscheint dem bekannten Nachrichtensprecher Tom Monderath zu absurd, um weitere Gedanken daran zu verschwenden. Dennoch muss auch er schließlich erkennen, dass er sich zu schnell durch die Kompensationsstrategien von Greta Monderath hatte blenden lassen. Durch ihren zunehmenden Unterstützungsbedarf erhält der Journalist bisher ungekannte Einblicke in Vergangenheit und Leben der seiner Mutter und muss erkennen, dass diese auch in seinem Leben einige blinde Flecken hinterlassen haben.

Susanne Abel hat ihren Roman auf zwei Ebenen aufgebaut. Den Rahmen bildet die Handlung um Tom Monderath im Jahr 2015, in die die Autorin kapitelweise Rückblenden in die Lebensgeschichte seiner als Greta Schönaich geborenen Mutter ab Beginn des zweiten Weltkriegs eingebettet hat.
Die so entstandenen Handlungsebenen unterscheiden sich auch in der Aufbereitung durch die Autorin deutlich in Sprache, Stil und Tiefe. Einen Bogen spannt nicht nur die Familiengeschichte der Monderaths, sondern auch die zu beiden Zeitpunkten brisante Flüchtlingsthematik. Dabei gelang die Umsetzung der beidenen Ebenen nicht gleichermaßen stimmig.
Während die Rückblenden in Kindheit und Jugend Greta Schönaichs unbarmherzig und dennoch äußerst gefühlvoll beschrieben sind und mich so sehr gefesselt und mitgerissen haben, erscheint mir die Gegenwart Tom Monderaths nahezu plump. Sowohl Charaktere, als auch Handlung in diesem Erzählstrang erscheinen mir nicht mit der gleichen Konsequenz ausgearbeitet. Dazu bleibt die Charakterentwicklung des Moderators flach und tritt für meinen Geschmack zu gewollt und plötzlich ein.

Dennoch gleicht die Handlung um die junge Greta so manche Schwäche der Rahmenhandlung mühelos aus. Die Autorin beschreibt schockierend unverklärt Haltungen und Gefühlslagen in der deutschen Bevölkerung. Emotionen und Empfindungen werden beim Lesen einerseits greifbar und lösen dennoch auch Ablehnung und Unverständnis aus.

"Stay away from Gretchen" von Susanne Abel ist trotz stellenweiser Schwächen ein sehr gelungener und lesenswerter Roman, der vor allem durch die anklingenden Themen lange nachwirkt.
Klare Leseempfehlung, jedoch halte ich eine Triggerwarnung wegen der Darstellung von Gewalt und der Beschreibung rassistischer Handlungen für notwendig.