Total überwältigt

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Eines gleich vorweg: dieses Buch liegt bei mir schon jetzt weit vorne beim Buch des Jahres !
"Stay away from Gretchen": zusammen mit dem unscheinbaren Cover dachte ich erst an einen einfachen Liebesroman. Doch hinter diesem Satz liegt hier eine Tragödie: denn dieser Satz steht nach dem 2. Weltkrieg und der Besatzung eines Teils Deutschlands auf dem Handbuch der amerikanischen GIs ganz weit vorne: verbünde dich nicht mit den deutschen Mädchen und Frauen, die sind vor kurzem noch Hitler hinterhergelaufen.... und hier geht es tatsächlich um eine Greta.
Diese Geschichte dieser Greta beginnt bereits 1939 in Preußisch Eylau, im östlichen Teil Deutschlands, die Familie besteht aus Ludwig und Guste, Tochter Emma und den Enkelinnen Greta und Fine. Der Schwiegersohn Otto, ein glühender Nazi verliert sich im Krieg , die Restfamilie flüchtet nach Heidelberg. Dort wird das Ende des Kreiges in beengten Verhältnissen in großer Not erwartet. Ein Lichtblick ist der schwarze GI Robert, genannt Bobby, der die Familie großzügig unterstützt. Trotz "stay away from Gretchen" werden Bobby und Greta ein Liebespaar mit Folgen ....
2015: 65 Jahre später steht Greta vor ihrem 85. Gebrtstag, eine alleinlebende, gutsituierte Frau, ihr Sohn Tom ein flotter, gutaussehender Womanizer und "anchorman" eines Kölner Fernsehsenders, der sich kaum um seine Mutter kümmert.
Doch dann bricht alles gleichzeitig auf Tom herein: die Arbeit stresst und bei seiner Mutter wird Demenz festgestellt, die schnell voranschreitet und die Vergangenheit freilegt. Tom wusste von nichts, seine Mutter war ihm mit ihren ständigen Depressionen fremd. Doch jetzt erfährt er Dinge, die ihn als Topjournalisten nicht ruhen lassen, er recherchiert, findet Fotos, Briefe , alles gut versteckt. Immer tiefer gräbt er in ihrer Vergangenheit und will die Antwort herausfinden: was wurde aus Bobby und seiner Halbschwester?
Schon lange hat mich kein Buch mehr so berührt, wie die Geschichte von Greta und ihrem kleinen Anhang. Wenn auch erfunden, steht sie für viele Schicksale in der damaligen Zeit und mir war auch nicht beewusst, wie viele "brown babies " es gab und wie schwer ihr Weg damals für sie und die Mütter war.
Greta trifft es besonders hart, nur durch konstantes Verdrängen kann sie weiterleben.
Die Geschichte funktioniert auch deshalb so gut, weil beide Zeitschienen sich erzählerisch abwechseln und gegenseitig vorantreiben. Das ist aber auch das kleine Manko des Buches, manchmal will es zu viel, wenn teilweise die Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg mit den Flüchtlingen aus Syrien verglichen werden, die Existenzbedrohung einer alleinerziehenden Mutter damals ( amtlicher Vormund !) mit dem Stress der alleinerziehenden Jenny verglichen wird usw. Da verzettelt sich die Autorin ein bisschen, zu komplex für ein Buch. Manchmal gibt es auch Fäden, die nicht weitergespronnen werden, was wird z.B. am Ende aus Greta und Bobby? Oder den vorher genannten Flüchtlingen aus Syrien ? Doch das sind Kleinigkeiten , die die wichtige Botschaft des Buches nicht schmälern können. Gut geschrieben, modern und auch witzig vor allem im neuzeitlichen Teil, herausragend.
Von mir eine absolute Leseempfehlung !