Verlorene Jahre

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clara_fall Avatar

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Dem cholerischen, selbstverliebten Alkoholiker und Nachrichtenmoderator Tom liegt eigentlich im Leben nur seine Karriere am Herzen. Um voranzukommen, führt er ein selbstzerstörerisches Leben. Menschen in seiner Umgebung sind ihm nur wichtig, wenn sie ihm in seinem egozentrischen Denken hilfreich zur Seite stehen. Einzig seine Mutter nimmt er gelegentlich wahr und besucht sie. Und nun steht nach ihrer Irrfahrt auf der Autobahn auch noch die Diagnose Demenz im Raum. Das bringt seine Mutter dazu, plötzlich aus ihrer tiefsten Erinnerung heraus Bemerkungen zu machen, die ihn verunsichern und seine gesamte Vergangenheit und Familiengeschichte in Frage stellen.
Viel Stoff für eine bewegende Geschichte, denn es geht nicht nur um die Auseinandersetzung mit dem Thema Alterserkrankungen der Eltern, sondern um ihre gesamte Vergangenheit, die noch weit in die Zukunft aller Beteiligten reichen wird. Leider ist die Figur Tom sehr abstoßend geraten und man würde kein Buch nur mit ihm in der Hauptrolle lesen wollen. Um so sympathischer wirken die Personen der Vergangenheit und wachsen dem Leser ans Herz und man wünscht ihnen wenigsten noch etwas Glück im Leben.
Die Autorin behandelt hier ein sehr unbekanntes Stück deutscher Geschichte, zumindestens für mich als Kind der DDR, das bisher nur vieles über die Verbrechen russischer Besatzung wusste. Dass auch die amerikanische Besatzung von unglaublichem Rassissmus und Unmenschlichkeit durchsetzt war, wird mir erst durch dieses Buch bewusst. Frau Abels fiktive Geschichte wird begleitet von tiefgründiger Recherche. Sie baut reale geschichtliche Ereignissse (Reden im Bundestag, Presseartikel usw) fließend in die Handlung ein und alles bekommt dadurch einen sehr glaubwürdigen Charakter. Ich habe alles mit viel Hochachtung und Mitgefühl gelesen. Nur eben Tom mit seinem abstoßenden Charakter wirkt unglaubwürdig, denn würde so ein Egomane wirklich alles für seine Mutter tun - alles in Bewegung setzen, um in so kurzer Zeit Licht in die Vergangenheit zu bringen und dabei so massiv seine Karriere aufs Spiel zu setzen?
Das Cover zeigt sehr deutlich, dass es sich hierbei um etwas ganz Besonderes handelt. Vielen Dank für dieses herausragende Buch, dass auch mir sehr hilft, bewegende Familiengeschichte aufzuarbeiten und als Kind der Kriegskinder das eigene Trauma zu bewältigen.