Beängstigend realistisch

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Nadja, 65, erhält eine Einladung vom deutschen Staat, ein Sterbeseminar im Luxushotel auf Fehrmann zu besuchen, völlig unverbindlich und kostenfrei. Aber ist das nicht nur für die wirklich Alten? Und was, wenn man noch nicht bereit ist zum Sterben?

Deutschland hat sich zu einer Scheindemokratie entwickelt. Pensionisten, Kranke, aber auch Arbeitslose und Behinderte tragen nichts bei zum Allgemeinwohl, sondern belasten zunehmend das System. Deshalb soll ihnen in luxuriösem Ambiente das Schlucken von Sterbewohl schmackhaft gemacht werden. Schließlich will doch niemand zum Pflegefall werden oder schwere Krankheiten durchleiden, bevor er erlöst wird. Hier hat man sein Schicksal selbst in der Hand und kann rechtzeitig beenden, was noch an Qual kommen könnte.

So einfach mag Nadja, gerade erst in Rente gegangen, gemeinsam mit ihren Freunden Anna, Max und Fred aber nun doch noch nicht verzichten auf Freizeit, Hobbys und Vergnügungen. Schließlich ist sie noch agil und fit und hat einiges vor. Hin- und hergerissen zwischen Neugier und dem Wissen, dass bisher niemand von so einem Seminar zurückgekehrt ist, schmieden die vier einen verwegenen Plan und checken ein im Hotel Paradies.

Beängstigend realistisch beschreibt Olivia Monti die Zustände in einem künftigen Deutschland, das so ferne möglicherweise gar nicht ist. Vermischt mit einigen interessanten Querverweisen zum dritten Reich entwirft die Autorin eine schockierende Geschichte, die gar nicht einmal so abwegig scheint. Mangel an Ressourcen, Gier nach Geld und Macht lassen die Alten und Schwachen schnell an den Rand der Gesellschaft abrutschen und neue Möglichkeiten zur Optimierung suchen – und finden. Wer nichts beiträgt, ist nichts wert und hat keine Daseinsberechtigung.

So wird der Leser rasch in den Bann gezogen über ein Abenteuer von vier junggebliebenen Rentnern, die diesen Ideen ein Schnippchen schlagen und herausfinden möchten, was nun wirklich hinter diesen Luxusreisen steckt. Humorvoll und mit flotten, kurzen Sätzen flugs zu lesen, bringt uns dieses Buch ernste Themen nahe. Die Figuren bleiben teils ein wenig oberflächlich, dies tut dem Ganzen aber keinen Abbruch, zeigt es doch auch in passender Weise, wie austauschbar die Menschen sind. Die Sicht aus Nadjas Perspektive wiederum bringt beängstigende Nähe ins Spiel und je näher man dem Tod kommt, umso rasanter schreitet der Urlaub voran. Das Ende kommt dann doch ein wenig abrupt, aber das Buch hallt noch eine Weile nach, sodass man es nicht unbeeindruckt aus der Hand legen kann.

Ein kurzer Krimi der anderen Art, den ich auf jeden Fall gerne weiter empfehle. Gänsehaut inbegriffen.