Das Nashorn unter den Einhörnern

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Auf der Hochzeitsfeier ihrer Freundin Susanne bekommt Anni von ihrem langjährigen Freund Thies einen Heiratsantrag. Bisher hatte sie sich nie Gedanken über eine Ehe gemacht. Es klappte doch ganz gut mit ihnen, ohne dass sie ein beglaubigtes Dokument besaßen. Die Antwort war also ein betretenes Schweigen. Es ist wohl nur zu verständlich, dass Thies grollt. Aber Anni stellt nun ihr ganzes Leben in Frage. Sie zweifelt, ob ihr Job als Computerspieldesignerin wirklich das Richtige ist. Ihr Chef nennt sie zwar A-Team und will ihr die Leitung der Berliner Filiale übertragen, sagt aber auch, dass sie mit zunehmenden Alter an der Zielgruppe vorbei designt. Da trifft es sich gut, dass sich ihre frühere Schulfreundin Maria überraschend meldet und sie zu sich nach Norderney einlädt. Anni nimmt sich sechs Wochen frei und nutzt die Zeit, um über ihre Lebenswünsche nachzudenken.

Meike Werkmeister hat mit ihrem Debütroman überrascht. Cover und Klappentext versprachen einen lockeren Frauenroman, der mit Strandcafé und frischer Nordseeluft dekoriert ist. Der Titel öffnet seine tiefere Bedeutung auch erst beim zweiten Lesen. Anni scheint im besten Alter zu sein für Familie oder Karriere. Allerdings weiß sie genau, wenn sie ihren Chef zufriedenstellt und die Leitung in Berlin annimmt, wird Thies enttäuscht sein, weil sie 400 Kilometer wegzieht. Das eine oder das andere zu wählen, scheint im Augenblick sowieso nicht die perfekte Lösung. Anni nimmt sich also eine Auszeit, die lang genug ist, um über einige Dinge nachzudenken und kurz genug, um das bisherige Leben nicht vollkommen aufgeben zu müssen. Maria scheint zwar ein willkommener Hafen zu sein, birgt aber ebenfalls Eskalationspotential.

Die Umgebung ist so bildhaft beschrieben, dass man während des Lesens meint, auf der Insel mit den weißen Sandstränden zu sein. Die Charaktere sind ebenfalls so ausgearbeitet, dass man sie sich in den Situationen gut vorstellen kann. Sie handeln auf ihren Positionen glaubhaft. Die nüchternen Einschätzungen vom Chef stehen dabei im Kontrast zu den emotionalen Äußerungen des jungen Paares. Das Arrangieren mit den Gegebenheiten wird zwar von allen Seiten beleuchtet, sodass man auch als Leser Verständnis für die einzelnen Standpunkte aufbringen kann, aber auch sehr wohlüberlegt. Auf zeitraubende Zickereien wurde verzichtet. Vielmehr ist man gespannt, wie sich Anni letztendlich entscheidet. Der Entwicklungsroman enthält einige Überraschungen mehr, als man am Beginn vermutet.

Weil man die Geschichte nicht in einem Zug lesen sollte, erleichtern die 13 Prints das Anhalten. Ein Statement ist: In einer Welt voller Einhörner, sei ein Nashorn. Auf den Roman übertragen, trifft das genau zu. Zwischen all den fluffig-leichten Lektüren bekommt man hier gehaltvolle Unterhaltung.