Auf der Suche nach Stille

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mammutkeks Avatar

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"Still - Chronik eines Mörders" beginnt wie ein Kammerspiel. In einem eng umgrenzten Raum, dem kleinen Ort Jettenbrunn, kommt am 6. Dezember 1982 ein Kind zur Welt. Karl wird der kleine Junge genannt, der für Mutter und Vater ein Wunschkind ist. Allerdings schreit Karl fast ununterbrochen - erst nach einiger Zeit wird klar, dass ihm alles zu laut ist: Seine Umgebung, die Herzschläge seiner Eltern, seine eigenen Atemgeräusche - schnell reagiert er auf Stimmen, Autogeräusche und Co. mit seinem durchdringenden Schreien.
So bleibt den Eltern, insbesondere dem Vater, der besser mit seinem Sohn umgehen kann, nichts anderes übrig, als einen Ort für Karl zu finden, an dem er möglichst weitgehend vor dem "Lärm" geschützt ist. Allerdings ist der Gehörsinn Karls so stark ausgeprägt, dass er Gespräche auch durch Wände oder über weitere Entfernung hören oder zumindest erahnen kann.
Karl wächst in der Sauna im Keller seines Elternhauses heran - und da Essen ihn für kurze Zeit beruhigen kann, wird er geradezu gemästet. Karl geht nicht zur Schule, er wird vom Nachbarn unterrichtet. Karl geht auch nicht nach draußen, hat keine Freunde, kann aber gut lesen, rechnen und ist äußerst intelligent.
Nach einiger Zeit hält es seine Mutter nicht mehr aus - und begeht Selbstmord im Jettenbrunner Weiher, während ihr Sohn ihr zuschaut. So wird der Geburtstag der Mutter auch ihr Todestag.
Spätestens jetzt entdeckt Karl, dass der Tod ihn fasziniert. Sterben müssen nun kleinere und größere Tiere - und immer häufiger auch Menschen. Dabei wandelt sich im laufe der Zeit die Argumentation, die Karl selbst als Begründung für die Tötungen entwickelt.
Auch der enge begrenzte Raum wird im zweiten Teil des verstörenden Romans verlassen. Karl verlässt seine Sauna, den Weiler Jettenbrunn und gelangt auf verworrenen Wegen in ein italienisches Kloster.
Der Roman ist äußerst "still", die Handlung wird langsam und ausführlich beschrieben, die Worte sind wohlgewählt, nicht aufgeregt, sondern eben eher ruhig. Es geht um die großen Themen der Welt: Um Liebe, um die Frage, wer ein Recht hat, zu bestimmen, wer leben kann und darf, um Familie. Dabei sind die Schilderungen Thomas Raabs nie grausam, wenngleich er teilweise sehr detailreich über die Tötungen berichtet.
Ein endgültiges Urteil über "Still" zu fällen, fällt mir schwer. Es ist kein alltägliches Buch, keine alltägliche Geschichte. Die grundlegende Frage nach Ablehnung von Lärm, von zu viel Gerede, wird allerdings nicht durchgehalten - spielt im zweiten Teil der Chronik keine Rolle mehr. Die großen Fragen werden auf ihre ganz eigene Art beantwortet, aber insgesamt ist "Still" für mich kein Buch, das man gelesen haben muss. Für mich war es eine interessante Erfahrung, aber ...