Die Faszination der Stille

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gisel Avatar

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Karl Heidemann hat ein äußerst sensibles Gehör und braucht die Stille, um sich wohlzufühlen. Deshalb kann er es schon gleich nach der Geburt nicht bei seiner Mutter aushalten, denn sie ist ihm zu laut. Seine ersten Lebensjahre verbringt er in der Stille des Kellers. Als seine Mutter vor Verzweiflung über ein beendetes Liebesverhältnis in den See geht, sieht Karl ihr im Tode völlig entspanntes Gesicht. Er scheint die Liebe gefunden zu haben und möchte dieses Geschenk mit den Bewohnern seines Dorfes teilen. Dabei hinterlässt er eine blutige Spur mit mehreren Leichen, bevor er das Dorf verlassen muss. Leichen werden seinen Lebensweg weiterhin begleiten.
„Aufwühlend, soghaft“ beschreibt der Klappentext das Buch, und das kann ich ihm attestieren. Über dieses „Geschenk des Todes“, das Karl Heidemann seinen Mitmenschen geben will, schafft Raab eine Argumentation, die von Anfang bis Ende durchdacht ist und eine ganz eigene Welt erschafft, eben die des Karl Heidemann. Dazu passt auch der Schreibstil Raabs, der mir manchmal arg verkünstelt vorkam, und das Coverbild mit einigen trägen Wellen auf einem See. In sich stimmig – und doch entgegen allem, was uns der gesunde Menschenverstand lehrt. Diese morbide Faszination der Stille lässt einen immer weiter in den Sog der Geschichte versinken – um anschließend verstört wieder in mein eigenes Leben zurückzufinden.
Karl Heidemann ist ein Antiheld, den man durch Raabs Schilderungen genau versteht und seine Handlungsweise nachvollziehen kann. So schnell kann man sich nicht von den Gedanken lösen, die diese Geschichte heraufbeschwört. Der Nachhall reichte bei mir noch für einige Tage.