Verstörend, zerstörend

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aennie Avatar

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Still – Chronik eines Mörders von Thomas Raab ist ein wertvolles Buch. Für mich sprachlich auf einem ganz fantastischen Niveau, eine Komposition, in sich wunderschön, virtuos – und unendlich grausam.
Handlung: Karl Heidemann wird geboren, mit einem ausgebildeten Bewusstsein, mit einem hypersensiblen Gehör, einer laut plappernden Mutter, einem schwachen Vater und in eine unerbittlich kleine Dorfgemeinschaft hinein. Karl hört alles und viel zu viel, er schreit seinen Schmerz hinaus und strapaziert seine und die Ohren aller anderen. Es dauert ein wenig, bis festgestellt wird, dass er eine regelrechte Schallabschottung benötigt, um auch in sich Stille empfinden zu können. Er entwickelt in frühestem Kindesalter eine Art Eremitendasein im Keller seines Elternhauses. Er ist hochintelligent und doch fehlt ihm jegliche emotionale Bildung und Erziehung, er entwickelt sich zu einem Soziopathen, aber anders als diese normalerweise in Thrillern auftauchen.
Karl stellt fest, dass die größtmögliche Stille für einen Menschen eintritt im Moment seines Todes. Und er beginnt zu forschen, er möchte über diesen Umstand mehr erfahren und beginnt im Kindesalter eine Spur an Leichen hinter sich herzuziehen. Er ist nie Teil des Alltagslebens, immer außen vor und doch durch sein Gehör immer dabei, er weiß alles, kennt die Schlechtigkeiten und Geheimnisse und beginnt schließlich zu richten. Er verlässt sein Elternhaus, seine Heimat, irrt und wandert umher, hinterlässt Spuren. Er lernt Marie kennen, sie ist taubstumm. Das Gegenstück des Kosmos zu Karl, er verliebt sich in das Mädchen und kann doch nicht bei ihr bleiben (das möchte ich nicht näher ausführen). Sie bleibt bei ihm, in seinen Gedanken, seinen Sehnsüchten. Er findet Frieden in einer neuen Gemeinschaft, einem abgeschiedenen Kloster in den Bergen und entschließt sich dazu, dort zu bleiben und täuscht nun seinerseits Taubheit vor. Die Mönche betreuen ein Altersheim und Karl wird zum Friedensbringer, der Tod als Erlösung und Karl als der Bote des Todes. Marie bleibt immer seine ewige Sehnsucht, sein Ziel. Eines Tages verlässt er das Kloster um Marie zu finden, was ihm auch gelingt. Diese Begegnung hat Folgen in mehrerer Hinsicht und führt zu einem großartigen Ende für dieses wirklich sehr sehr gute Buch, und es wird vermutlich lange dauern, bis man wieder etwas Vergleichbares zu lesen bekommt. Außergewöhnlich!