Lesenswertes Retelling

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lui_ Avatar

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Das Cover ist hübsch gestaltet, ein echter Eyecatcher, der einem besonderen Mythologie-Werk würdig ist.
Zum Inhalt: Natalie Haynes erzählt die Geschichte von Medusa neu. Dabei hinterfragt sie aus verschiedenen Blickwinkeln, inwiefern die Medusa anhaftende Bezeichnung eines Monsters tatsächlich zutreffend ist, und wagt damit eine moderne Neuinterpretation des Mythos.
Gleich vorab sei erwähnt, dass ich in letzter Zeit viele Neuerzählungen von Mythen verschlungen habe, besonders solche, die sich rühmten, einen feministischen Ansatz zu präsentieren. Und siehe da, hier habe ich endlich einen Roman gefunden, der in dieser Hinsicht all seine Versprechen zu halten vermag.
Der Roman ist grundsätzlich gut lesbar, allerdings braucht man ein gewisses Maß an Konzentration, da mit jedem kurzen Kapitel das Setting und die handelnden Personen wechseln und man sich so ständig in einen neuen Kontext hineindenken muss. Dabei sind auch Vorkenntnisse in griechischer Mythologie durchaus nützlich.
Im Klartext heißt das, dass Medusas Perspektive bzw. Geschichte nicht durchgängig im Fokus der Handlung steht. Die vielen Nebenschauplätze haben mich anfangs verwirrt, werden allerdings später gelungen zusammengeführt, sodass alles einen höheren Sinn ergibt. Das bedeutet allerdings auch, das wir immer nur einen schlaglichtartigen Einblick in Charaktere bekommen, weshalb immer eine gewisse Distanz zu ihnen bestehen bleibt. So kommen zwar viele weibliche Charaktere zu Wort, hier hätte ich mir gelegentlich jedoch mehr Charakterfokus gewünscht.
Langweilig wird es aufgrund der komplizierten Erzählstruktur aber wenigstens nie und die kurzen Kapitel tragen dazu bei, dass man das Buch schnell weggelesen hat. Das alles, was mit griechischer Mythologie zu tun hat, eher düster, tragisch und emotional ist, brauche ich hoffentlich nicht zu erwähnen.
Der Schreibstil ist bissig, provokant und trieft teilweise herrlich vor Ironie. Damit könnte die Geschichte potenziell bei einigen LeserInnen anecken, mir hat es aber gefallen. Ich mochte die Denkanstöße, die uns geboten werden. So regt die Lektüre tatsächlich zum Bilden einer eigenen Meinung über einen wohlbekannten Mythos an und erzählt diesen nicht einfach nach. Damit vereint das Buch vieles, was ich mir von einem Mythos-Retelling wünsche.
Insgesamt konnte das Buch mich mit kleineren Abstrichen überzeugen. Wer eine anspruchsvolle mythologische Neuerzählung mit scharfer Zunge und bissigem Humor sucht, die starke weibliche Figuren in den Vordergrund stellt, sollte hier unbedingt einmal reinlesen.