Von der Blindheit der Privilegierten

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
ichgebäre Avatar

Von

Super Reich ist für mich ein Buch, das ich jeder Deutschklasse ab der 6. Klasse als Literatur empfehlen möchte.

Schon lange habe ich kein Buch mehr in der Hand gehabt, das so subtil und dennoch offensichtlich die Jugendbuchgeschichte mit einer Sozialstudie verknüpft.

Rupert ist arm. Bettelarm. Aber betteln würde er nie. Er hat sich bisher dadurch über Wasser gehalten, dass er sich an alle Regeln hält und nicht auffällt.

Als er durch einen Zufall das Weihnachtsfest bei der reichsten und einflussreichsten Familie der Stadt verbringt, glaubt man, dass sich dadurch nun nachhaltig etwas in seinem Leben verbessern könnte.

Dem ist aber nicht so.

Zwar schlittert er in den nächsten Monaten immer wieder mit verschiedenen Mitgliedern der Familie Rivers in die verschiedensten phantasievollen Abenteuer, doch diese helfen ihm nicht, aus seiner Armut zu entkommen.

Im Gegenteil geht es Rupert teilweise sogar noch schlechter als vorher, weil er nun nämlich Hoffnung verspürt, die dann aber immer wieder zerschlagen wird.

Dies liegt vor allem daran, dass den Mitgliedern der Familie Rivers Ruperts Situation überhaupt nicht auffällt. Klar sehen sie, dass er schäbig angezogen ist oder dass er klein und schmal ist. Aber Ruperts Lebenswirklichkeit liegt so weit entfernt von der Realität der Rivers, dass sie es nicht schaffen, seine Bedürfnisse zu sehen.

Sie machen ihn auf Mängel aufmerksam, sehen aber nicht, dass er an bestimmten Dingen gar nichts ändern kann. Dieses Muster zieht sich durch sämtliche Episoden im Buch und wird dabei dennoch nicht aufdringlich. Im Gegenteil hoffte ich mit jedem Kapitel mehr, dass nun endlich das nächste Familienmitglied, mit dem Rupert zu tun hat, anders sein möge und Ruperts Bedürfnisse wahrnehmen könnte. Hoffnung gibt es dazu immer wieder, denn es gibt durchaus Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte zwischen Rupert und den Mitgliedern der Familie Rivers.


Ohne zu viel vom Inhalt zu verraten, möchte ich an dieser Stelle auf ein paar Details eingehen:


Die Stärke dieses Buches ist es aus meiner Sicht, dass sie zeigt, wie privilegierte Menschen ihr Lebensbild auf alle anderen übertragen. "Zieh dir doch deinen Mantel an; es ist wirklich kalt da draußen" -- was als guter Rat gemeint ist, verspottet Ruperts Lebenswirklichkeit, der einfach gar keinen Mantel besitzt, weil er das Geld dafür nicht hat.

Selbst, wenn Rupert eine Entscheidung trifft, wird diese häufig von den Mitgliedern der Familie Rivers negiert. "Du hast ja keine Ahnung" oder "ich mach das schon für dich" sind dann die Sprüche, die er zu hören bekommt. Und natürlich ist die folgende Entscheidung komplett aus der Sichtweise einer reichen Person geboren und nimmt keinerlei Rücksicht auf Ruperts Situation und Beweggründe.

Selbst wenn den anderen auffällt, was Rupert gerade möchte, sehen sie das im Zusammenhang mit ihrer eigenen Realität und nicht in Bezug auf seine Erfahrungen.

Schön ist auch, dass im Buch die alte Brecht'sche Maxime "Erst kommt das Fressen, dann die Moral" nicht gilt. Im Gegenteil erlebt Rupert, dass Reichtum keineswegs bedeutet, moralisch besser zu sein. Dafür bedarf es konkreter Entscheidungen, die theoretisch einfach fallen sollten, wenn man Geld hat. Im Alltag ist das aber dann doch nicht unbedingt so.

Übrigens spielt die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs, der gedulteten Zugehörigkeit zur Oberklasse und die Verbindung zwischen Dienstherren und Bediensteten ebenfalls eine Rolle im Buch. Eine angeheiratete Tante macht deutlich, dass sie nie dazu gehörte - weil sie sich eben nicht dazugehörig fühlte. Eine Köchin ist fest davon überzeugt, besser zu sein, als andere, weil sie eben für die Reichen kocht.

Positiv hervorheben möchte ich auch, dass Frauen wie Männer eigentständig denkende und handelnde Personen sind. Jede Person bringt eine gewisse Tiefe in die Geschichte. Über die Unterschiede zwischen den Personen und Rupert erhalten wir Einblick in die Lebenswirklichkeit armer Menschen, die wir sonst gerne von uns fern halten.

Fazit: Super Reich erhält von mir die volle Punktzahl. Ich habe das Buch verschlungen und möchte es allen ans Herz legen, die der Meinung sind, dass arme Menschen doch einfach härter arbeiten sollten, um mehr Geld zu haben. Dieses Buch ist außerdem für alle, die aufgehört haben, zu träumen (und gerne wieder damit anfangen möchten), die etwas über Privilegien in der Gesellschaft erfahren wollen, die gern mitfiebern und die spannende Dialoge und ein bisschen Fantasy mögen.

Und natürlich ist es für alle, die Spaß haben kurzweiligen Dialogen witzig entworfenen Personen haben.

Definitiv ein Buch nicht nur für die Schule!