Ein weitgehend pragmatisches Leben

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jackolino Avatar

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Als ich dieses Buch erhielt, war mir nicht klar, dass es Susanna Faesch wirklich gegeben hatte, ich hatte die Geschichte für einen Roman gehalten. Erst die Erwähnung des Künstlernamens ließ mich aufhorchen, Caroline Weldon hat bereits mehrere Schriftsteller und Filmemacher inspiriert, sich mit ihrer Geschichte zu befassen.
Es ist die Mutter, die Susanna Faesch in die USA mitnimmt. Anna lernt um 1848, da war die Tochter Susanna 4-jährig, Karl Heinrich Valentiny kennen, einen jüngeren deutschen Arzt und Revolutionär und Freund ihres Mannes aus seinen Soldatentagen bei der Fremdenlegion. Im Jahr darauf emigriert Valentiny nach New York. 1852 folgt ihm Anna mit der Tochter im Schlepptau, sie lässt ihre Söhne beim Vater in der Schweiz zurück und heiratet Valentiny. Damit schert sie zum ersten Mal aus dem Leben aus, das eigentlich für sie bestimmt war. Alles war bisher nach vernünftigen pragmatischen Gesichtspunkten für sie geplant worden, aber diese Verlässlichkeit wurde ihr zunehmend unerträglich.
Susanna wächst nun in Brooklyn auf. Mit 14 Jahren schenkt ihr der Stiefvater einen Kasten Gouache-Farben und fünf Pinsel und schon am ersten Abend malt Susanna ein Portrait ihrer Mutter, das fortan in der Arztpraxis des Stiefvaters hängt und zu vielen Folgeaufträgen von Patienten führt. So verdient Susanna schon als 14jährige ihr eigenes Geld. Susanna fühlt sich wohl in Brooklyn, die Tage plätschern dahin, nie passiert etwas wirklich Außergewöhnliches. Sie nimmt Kurse an der Kunstakademie und fühlt sich in der Gesellschaft von Dandies wohl, die sie zwar nicht ernst nimmt, die sie aber auch nicht langweilen.
Ein junger Kollege ihres Stiefvaters, der irgendwann bei ihnen auftaucht, scheint ihrer Zuneigung würdig zu sein. Die beiden heiraten, aber auch nach Jahren stellt sich kein Nachwuchs ein. Susanna geht mit einem jungen Schotten aus der Kunstakademie fremd und wird schwanger. Von ihrem Mann lässt sie sich scheiden, der junge Schotte aber wird nie erfahren, dass er einen Sohn in New York hat.
New York befindet sich in dieser Zeit im Umbruch und Susanna begleitet die Zeit mit ihren Bildern. Sind es am Anfang noch die 5 Bauarbeiter an der Brooklyn Bridge in ihren blauen Segeltuchjacken, die sie faszinieren und die sie malt, so wird die Brücke irgendwann fertiggestellt und mit den neuen von Edison erfundenen Glühbirnen auch bei Nacht in helles Licht getaucht. Die Industrialisierung schreitet voran und ihr braunes Sandsteinhaus, das zu Beginn noch am Rand der Stadt lag, rückt immer mehr ins Zentrum auch von neuen Fabriken und Wohnsiedlungen.

Werden Susanna und ihre Mutter noch relativ passiv und distanziert dargestellt, so bildet Christie, ihr Sohn, da eine Ausnahme. Christie entwickelt durchaus eigene Wünsche und Ansprüche und setzt sich auch gegen Mutter und Großmutter durch. Zumindest die Großmutter ist vernarrt in dieses Kind. Sie, die es zu einer hohen Kunst entwickelt hatte, Interesse an ihren Mitbürgern zu heucheln, um sich dann aber diese Menschen vom Leib zu halten, kümmert sich hingebungsvoll um ihr Enkelkind. Als nach ihrem Stiefvater auch Susannas Mutter stirbt, ist für Susanna eine Zeit für Veränderungen gekommen. Als sie ihre Dinge in New York geregelt hat, schnappt sie sich ihren Sohn und erfüllt ihm einen seiner größten Kindheitsträume. Sie machen sich auf in die Indianerschutzgebiete im Westen der USA und tatsächlich lernen sie den Häuptling der Lakota, Sitting Bull kennen.
Und hier erleben wir zum ersten Mal eine Susanna, die Dinge nicht nur hinnimmt wie sie sind, sondern engagiert versucht, Unheil von Sitting Bull und seinen Leuten abzuwenden. Aber insgesamt nimmt diese Passage im Buch nur ganz wenige Seiten ein.
Während in Wirklichkeit die Reise der beiden tragisch endet und Christie an einer Blutvergiftung stirbt, hat das Buch einen offenen Schluss. Als Susanna dem Häuptling nicht klarmachen kann, dass ihm von den weißen Truppen Gefahr droht, bricht sie die Zelte ab und reist weiter. Niemand weiß, wohin sie ihr Weg führen wird.
Irgendwie ist es ein Buch ohne Leidenschaften, Dinge werden entschieden, weil sie sich so ergeben, Gefühle spielen keine große Rolle. Susanna lebt zwar sicher anders als andere Frauen ihrer Zeit, sie kann über sich selbst bestimmen, aber in ihrer Zeit in Brooklyn tut sie sich nicht als beharrliche Kämpferin oder Gestalterin ihres Lebens hervor.
Erst zum Schluss hin trifft sie eigene Entscheidungen, die aber andererseits auch von dem stetigen Drängen ihres Sohnes ausgelöst wurden.

Dieses Buch war mein erstes Buch von Alex Capus. Es liest sich flüssig, hat mich aber nicht wirklich fasziniert. Für mich war da immer sehr viel Distanz in der Beschreibung. Vor allem passte der Klappentext nicht wirklich zum Inhalt. Was dort angekündigt wird, macht nur einen ganz kleinen Teil des Buches aus.
Das Cover allerdings ist gut gewählt, zumal die im Bau befindliche Brooklyn Bridge mit ihren vielen Drahtseilen Susanna tatsächlich fasziniert hat. Sie dient als Symbol des Übergangs in eine neue Zeit.