Eine Schweizer Auswanderin und ihre Zeit

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tsubame Avatar

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Ich kenne wohl kaum einen anderen Erzähler, der aus ein paar Schwarzweiß-Fotos, Gemälden, Zeitungsartikeln und anderen historischen Dokumenten seine Figuren so glaubhaft zum Leben erweckt, dass man das Gefühl bekommt, ja, genauso hätte es gewesen sein können.

Capus kann das! Ob er nun einen unausgeschlafenen, verschnupften Fuhrkutscher beschreibt, der seit sieben Jahren das Amt des "Wilden Mannes" bekleidet und der von der 5jährigen Susanna Faesch in einem Akt der Selbstverteidigung ein Auge ausgestochen bekommt, oder aber deren Eltern, zwischen denen zunächst ein "distanziertes Wohlwollen" herrscht, welches unter der Last der Elternschaft im Laufe der Jahre zu "gegenseitigem Befremden" abgekühlt ist.

Er versetzt sich in seine Figuren hinein, schildert mit einem Augenzwinkern "den evolutionären Trumpf des Wohlgeruchs", durch den die junge Susanna in New York ihre ersten sexuellen Erfahrungen macht oder gibt die letzten Gedanken ihres Stiefvaters wieder, der - glaubt man Capus - den rechten Zeigefinger als Lesezeichen zwischen den Seiten eines Zola-Romans steckend aus dem Leben schied.

Was an der Geschichte Fiktion und was Wahrheit ist, lässt sich schwer sagen, ist aber auch gar nicht so wichtig, denn Capus schafft es, eine ganze Epoche und deren Lebensgefühl aufleben zu lassen.

Ganz nebenbei lernt man die Schweizer Auswanderin Susanna Faesch kennen, die einst Sitting Bull traf und diesen auch malte.

Mir hat die Geschichte gefallen, auch wenn die Begegnung im Reservat nur einen kleinen Teil des Romans einnimmt und vom Autor in dieser Form wohl frei erfunden wurde. Wenn man dann die Fakten unter Wikipedia nachliest, muss man allerdings zugeben, dass die Capusche Version eindeutig die schönere ist.