OH! SUSANNA!

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Oh! Susanna! Was für ein Lebensweg, was für eine Geschichte! Alex Capus greift sich aus dem Fundus der weniger geläufigen historischen Figuren die Porträtmalerin Susanna Faesch heraus, die heute hauptsächlich für ihr (unter künstlerischen Aspekten eher wenig herausragendes) Porträt von Sitting Bull, einem der berühmtesten Sioux bekannt ist. Aus den verbürgten Fakten webt Capus einen faszinierenden historischen Roman, der unfassbar modern wirkt, da er auf vollkommen auf geschraubte Plüschigkeit verzichtet und auch ohne gespreizte, hochtrabende Dialoge auskommt – im Gegenteil: das Buch „Susanna“ ist auf beeindruckende Weise so rational und no-nonsense wie seine Protagonistin, deren Wille zur Rebellion und drängende Durchsetzungskraft sich schon in den ersten Kapiteln bemerkbar macht, als sie sich gegen den „Wilden Mann“ in Basel zur Wehr setzt (ein Ereignis, dass im Hinblick auf ihr weiteres Leben prägend erscheint).

Mit sehr viel Feingefühl und ergänzt durch wohldosiert eingesetzte Kommentare der auktorialen Erzählinstanz wird Susannas ungewöhnliche Reise nach und durch Amerika in Szene gesetzt. Der Text macht den Pioniergeist des 19. Jahrhunderts erlebbar und nutzt die Aufbruchsstimmung und den Wandel der Zeit um Susannas Leidenschaft für Selbstbestimmung und ihre Neugier auf Abenteuer reizvoll und sehr lesbar aufzubereiten. Selbst in den Passagen, in denen Susannas Leben nicht mehr vom Fleck zu kommen scheint, bietet der quirlige Kontext des aufstrebenden New Yorks des 19. Jahrhunderts, in dem gerade an der Brooklyn Bridge gebaut wird, seine kulturelle Szene mit den Dandys und den Wild West Shows von Buffalo Bill eine Fülle von Ablenkungen, sodass auch der Leser keine Chance hat, sich zu langweilen. Neben Susannas Werdegang liefert Capus auch sehr detaillierte Einblicke in die Vergangenheit ihres Vaters, der einst in der französischen Fremdenlegion diente, und die ihres Stiefvaters, vermeintlicher Aufrüher aus Dortmund. Bei all den bunten Beschreibungen aus der Lebenswelt dieser Figuren, bleibt die Erzählinstanz auf fast unnachahmliche Weise stets elegant-distanziert zurückhaltend und bietet recht wenig Einblick in das Seelenleben der Figuren – die Handlungsmotive bleiben bisweilen etwas opak. Dies würde mich bei fast jedem anderen Roman mit Sicherheit ziemlich stören, hier passt es einfach ganz famos ins Gesamtkonzept, denn es verhindert ausufernde Spekulationen über das Seelenleben der Figuren, macht Susanna zu einer mysteriöseren Figur, verleiht ihr mehr Eigenleben und Stärke und lässt dem Leser noch Raum für eigene Mutmaßungen. Mit diesem Roman betritt man quasi ein ausgezeichnetes Museum, das einen inspiriert sich mehr mit Susanna Faesch, ihrer Zeit und den Ereignissen, die ihr Leben bestimmten, auseinanderzusetzen.

„Susanna“ wäre ein rundum lesenswerter, empfehlenswerter Roman über eine Frau und ihren eigenen Weg, wenn nicht das sehr enttäuschende Ende wäre. Sicherlich hat der so gestaltete Schluss seine interpretatorische Berechtigung, aber im Vergleich zu dem Wirbelwind aus erzählerischer Kraft, den das Buch über so viele Seiten entfaltet hat, verflacht das Ende doch sehr antiklimaktisch - wie ein laue Brise über dem sonnenverbrannten Gras der weiten Prärie.