Wie gemalt: die Baslerin, die Sitting Bull portraitierte

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
nathalielamieux Avatar

Von

Der Schweizer Autor Alex Capus ist bekannt für seine Portraits von bemerkenswerten Personen und ihrer spannenden Einbettung in ihre Zeit.
Für seinen neuen Roman hat er sich eine beeindruckende Frau ausgesucht, um von ihrem Leben zu berichten: Susanna Carolina Faesch. Sie nannte sich später als Malerin Caroline Weldon. Geboren 1844 in Kleinbasel in eine wohlhabende Familie, wird sie ein sehr erzählenswertes Leben führen, dem wir in „Susanna“ nachspüren können. Dass Susanna anders ist als ihre Umgebung, das wird dem Lesenden schon mit einer dramatischen Situation zu Beginn erläutert. Bei einer Vorführung des Wilden Mann fühlt sich die Fünfjährige derart bedroht, dass sie dem verkleideten Pferdeknecht in einem Akt entschlossener Notwehr mit dem rechten Zeigefinger das linke Auge ausstach. Obwohl der Vater den Pferdeknecht finanziell entschädigt, akzeptiert er ihre Notwehr nicht, sondern verurteilt sie dafür. Ihre Mutter Maria hat den Vater auf Wunsch ihrer Familie geheiratet, weil er gut in die Gesellschaft passt. Sie selbst hört lieber Musik in ihrem Kopf, wenn er redet. Und so dauert es nach diesem Vorfall auch gar nicht lange, bis die Mutter die Situation verlassen möchte. Ein langjähriger Freund ihres Mannes, der bei der Familie wohnte, wandert nach Amerika aus. Nun hinterfragt Maria ihre Gefühle für diesen Freund, Karl Valentiny, und ihr Zuhause. Schließlich lässt sie sich ihr Erbe auszahlen, lässt Mann und zwei Söhne zurück und wagt die Reise nach Amerika zusammen mit Susanna in der Hoffnung, Karl dort wiederzufinden.
Karl hat in Brooklyn eine Arztpraxis eröffnet, nimmt die beiden auf und Susanna wird in Brooklyn aufwachsen und ihr künstlerisches Talent entdecken. Nun verdient sie ihr Geld mit dem Malen von Portraits. Sie heiratet einen Kollegen von Karl, aber die Ehe bleibt kinderlos. Als sie nach einer Affäre schwanger ist, verlässt sie ihr Ehemann und Susanna bleibt mit ihrem Sohn Christie allein. Christie ist fasziniert von den amerikanischen Ureinwohnern und als Susannas Mutter stirbt und ihr ein größeres Erbe hinterlässt, reist Susanna mit Christie mit Schiff und Planwagen zu Sitting Bull ins Dakota Territorium. Auch ihn hat sie gemalt und sein Porträt hängt heute im State Museum North Dakota.

Alex Capus ist ein ambitionierter Geschichtenerzähler. Denn neben der Geschichte von Susanna wird die Geschichte des Jahrhunderts lebendig. Die Brooklyn Bridge wird eröffnet, Dampfmaschinen lärmen, Edisons Glühbirnen erleuchten die Stadt stückchenweise und Stadt und Alltag verändern sich durch Maschinen. Im Westen kämpfen die Ureinwohner um ihr Überleben, die Kavallerie steht Gewehr bei Fuß. Nellie Bly reist um die Welt.

Gerade in Zeiten von Bücherstapeln voller Autofiktion und Analyse der Gedanken von Protagonisten ist es recht ungewohnt, dass Alex Capus die Motive seiner Personen im Dunklen lässt. Susanna liebt, heiratet, lässt sich scheiden, malt, reist – aber warum? Die Antworten werden nicht gegeben. Stattdessen heißt es beispielsweise an einer Stelle „Ich wüsste zu gern, was Susanna Faesch im Frühsommer 1890 veranlasste, plötzlich fortzugehen.“ Das irritiert und lässt eine Leerstelle. Aber wenn man sich darauf einlässt, dieser stringent erzählten, biografisch-faktisch hervorragend recherchierten Erzählung zu folgen, wie man es einem Erzähler am Lagerfeuer würde, zu folgen, dann genießt man diesen sprachlich eleganten und atmosphärisch dichten Roman sehr.