Am Ende bleibt Ratlosigkeit

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webervogel Avatar

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Vor ungefähr zehn Jahren habe ich Zadie Smiths „Von der Schönheit“ gelesen. Ich erinnere mich überhaupt nicht mehr an die Handlung, weiß aber noch, dass ich beeindruckt war. Der Roman erschloss mir gesellschaftliche Denkungsweisen und Probleme, von deren Existenz ich damals noch keinerlei Ahnung hatte. Von „Swing Time“ erwartete ich ähnliches. Schließlich heißt es schon im Quote auf dem Buchrücken: „Bewegend, lustig und wahrhaftig analysiert dieser Roman […] Themen wie Hautfarbe und Weltpolitik.“

„Swing Time“ handelt von zwei Freundinnen, die sich schon als kleine Mädchen kennenlernen und eine große Leidenschaft für Tanz teilen. Eine von ihnen ist die Ich-Erzählerin. Irgendwann im Laufe des Buches hielt ich inne und stellte fest, dass ich mich gar nicht an ihren Namen erinnerte. Ab da achtete ich sehr aufmerksam darauf und nehme inzwischen an, dass er kein einziges Mal genannt wird.
Die Freundin der Ich-Erzählerin heißt Tracey. Dass beide Mädchen begeisterte Tänzerinnen sind – wobei Tracey Talent hat, während bei der Ich-Erzählerin schon früh ein Platfuß diagnostiziert wird – scheint ihre größte Gemeinsamkeit zu sein. Zwar wachsen sie auch im gleichen Londoner Vorort auf, haben jeweils ein hell- und ein dunkelhäutiges Elternteil, doch trotzdem scheint ihre Herkunft sehr verschieden. Die Mutter der Ich-Erzählerin strebt nach Bildung, studiert, interessiert sich für die großen gesellschaftlichen Fragen; ihr Vater verdient währenddessen das Geld und kümmert sich um Haushalt und Alltagskram. Traceys Mutter ist dagegen alleinerziehend und erwerbslos. Als Kind vergöttert Tracey ihren abwesenden Vater und erzählt, er wäre Background-Tänzer von Michael Jackson – ein Wunschtraum, wie sich später rausstellt. Traceys Wirklichkeit ist so eine ganz andere als die der Ich-Erzählerin, aber so richtig bekommt man sie als Leser nicht zu fassen. Offensichtlich ist dagegen ihre gelegentliche Bosheit gegenüber der anderen und dass beide Mädchen einander doch einiges neiden. Warum die Ich-Erzählerin trotz deren Gehässigkeiten an Tracey festhält, hat sich mir nicht erschlossen.
Erzählerischer Schwerpunkt des Romans ist die Freundschaft der beiden Mädchen, doch nachdem sie erwachsen geworden sind, steht außerdem das Berufsleben der Ich-Erzählerin im Mittelpunkt. Sie arbeitet jahrelang als persönliche Assistentin für eine Sängerin, einen Superstar, jettet mit ihr durch die Welt und scheint ihr eigenen Leben völlig dafür aufzugeben. Besonders beteiligt ist sie an einem Wohltätigkeitsprojekt ihrer Arbeitgeberin; dem Aufbau einer Mädchenschule in Gambia. Hier kommt die Tochter einer Jamaikanerin zum ersten Mal mit Afrika in Berührung, was offensichtlich Spuren in ihr hinterlässt. Diese näher zu beschreiben ist mir allerdings kaum möglich.

Als Leserin habe ich eine ganze Weile gebraucht, um festzustellen, dass das afrikanische Land, um das es geht, wohl Gambia ist – wie der Name der Ich-Erzählerin wird auch das nicht erwähnt. Genauso hatte ich hier und da Probleme, die Hautfarbe von Figuren herauszufinden – für das Verständnis des Romans scheinen diese Informationen absolut nötig, gleichzeitig setzt die Autorin auch hier gerne mal voraus, dass ihre Leser schon von alleine darauf kommen werden. Vermutlich ist mir beim Lesen von „Swing Time“ einiges entgangen, und das hat mich doch frustriert. Es ist nicht so, dass die Ich-Erzählerin so gebildet und reflektiert scheint, dass man ihren Gedankengängen nicht folgen kann, aber durch Zeitsprünge sowie unkommentierte, aber wohl doch bedeutsame Szenen verfestigte sich bei mir der Eindruck, hier doch einiges nicht zu verstehen – nicht zuletzt, was mir Zadie Smith mit dem Buch eigentlich sagen will. Unterhalten soll es nicht, denke ich – von der im Quote auf der Rückseite genannten Lustigkeit ist bei mir nichts angekommen. Auch bewegt hat mich „Swing Time“ kaum. Vielleicht hätte ich mehr von dem Roman gehabt, wenn ich mich besser mit Tanz auskennen würde – die Leidenschaft der Ich-Erzählerin und Tracey ist greifbar und wird detailliert beschrieben, aber wenn man selbst kaum Ahnung von Ballett, Musicals und Tanzfilmen hat, springt der Funke nicht über. Die Ich-Erzählerin lässt sich vom Leben treiben und man treibt 625 Seiten mit ihr. Im Nachhinein betrachtet hat sich das für mich nicht gelohnt. Es bleibt das Gefühl, etwas versäumt zu haben.