Ein Buch über Freundschaft

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sofie Avatar

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„Es ist ein Leben im Schatten, und irgendwann zermürbt einen das. Kindermädchen, Assistentinnen, Agentinnen, Sekretärinnen, Mütter – Frauen sind das gewohnt. Männer haben eine niedrigere Toleranzschwelle.“ (S. 448)

„Swing Time“ war mein zweites Buch von Zadie Smith und wieder bin ich sehr begeistert! Wie schon bei „London NW“ geht es hauptsächlich um Freundschaft und wie sich diese über die Jahre entwickelt. Diesmal stehen ganz besonders die Frauenbeziehungen im Fokus – zwischen Mutter und Tochter, zwischen Freundinnen, zwischen Chefin und Angestellter. Und dabei erzählt Swing Time praktisch das ganze Leben einer 30-Jährigen. Durch wechselnde Zeitabschnitte, die sich nach und nach zu einem großen Ganzen verbinden, wird die Geschichte spannend erzählt. Alle Lebensabschnitte werden toll beschrieben:

„Unterdessen wurde ich hinterrücks von der Pubertät überrumpelt, summte immer noch in der letzten Reihe Gershwin-Songs vor mich hin, während sich um mich her die Freundschaftsringe bildeten und festigten, sicher über Hautfarbe, Schicht, Geld, Postleitzahl, Staatsangehörigkeit, Musik, Drogen, politische Überzeugung, Sport, Ehrgeiz, Sprache, sexuelle Orientierung definierten...“ (S. 229)

Ein Thema sind auch wieder die verschiedenen Rollen, die jeder Mensch in seinem Leben einnimmt. Außerdem geht es darum, wie viel ein Mensch in bestimmte Beziehungen investiert und was er als Gegenleistung erwartet. Spannend ist dabei, wie lange und gut sich die Ich-Erzählerin und ihre Freundin Tracey kennen.

„Ich sah die Sieben-, die Acht-, die Neun-, die Zehnjährige in ihr, den Teenager, die kleine Frau. All diese Versionen von Tracey reckten sich mir in dieser Kirche über die Jahre hinweg entgegen, und alle stellten sie mir dieselbe Frage: Was wirst du jetzt machen?“ (S. 282)

Was vielleicht das besondere an der Geschichte ist, ist dass die Hauptfigur eher passiv ist. Selten nimmt sie ihr Leben selbst in die Hand, sie wirkt immer ein bisschen als würde sie sich treiben lassen und eher voranstolpern als aktiv auf ein Ziel zuzugehen.

„Erleichterung überkam mich, sie war mir vertraut, obwohl ich sie seit Langem nicht verspürt hatte, und ich führte sie darauf zurück, dass Tracey die Zügel in die Hand, mir sämtliche Entscheidungen abnahm und sie durch ihren Willen, ihre Vorhaben ersetzte.“ (S. 349)

Ich mag den Schreibstil von Smith sehr, ihre präzisen Beschreibungen, die einen immer an Ort und Stelle des Geschehens bringen. Dabei ist sie oft auch witzig, klug sowieso und nie langweilig. Von mir gibt es also eine klare Leseempfehlung und 5 von 5 Sternen.

„Der Sonnenschirm, unter dem ich saß, spendete keinen Schatten, die Eiswürfel in meinem Glas waren längst geschmolzen. Mein eigener Schatten lag lang und messerscharf unter dem Tisch. Er schien sich über den halben Platz zu erstrecken und deutete direkt auf das prächtige weiße Gebäude an der Ecke, das fast den ganzen Straßenzug einnahm und vor dem gerade ein Fremdenführer eine kleine Fahne in die Höhe hielt und eine Reihe von Namen aufzählte; einige davon kannte ich, andere waren mir neu.“ (S. 446)

[Bezieht sich auf das E-Book]