Kopfgeburt

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singstar72 Avatar

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Das ist sie nun also, die große Zadie Smith. Schon so viel hatte ich von ihr gehört. Seit ihrem Erfolg „White Teeth“ wird sie in ihrem Heimatland Großbritannien ja regelrecht hochgejubelt. So war ich einerseits erfreut , das Buch zu gewinnen, sah mich andererseits aber auch einem gewissen „Erfolgsdruck“ gegenüber, es zu mögen. Nun bin ich zwar nicht direkt enttäuscht, bleibe aber doch – nach einer langen, quälenden, oft unterbrochenen Lektüre – ein wenig ratlos und überfahren zurück.

Das liegt zum einen daran, dass ich einfach nicht herausgefunden habe, was das Buch von mir wollte. Es hat Stoff genug für – gefühlt - 10 Romane , entscheidet sich aber für keinen davon mit ganzem Herzen. Da wäre zum einen die Geschichte einer Mädchenfreundschaft, über Jahrzehnte hinweg. Dann wieder der Ansatz eines klassischen Entwicklungsromans, eine „coming of age“-Geschichte der Ich-Erzählerin. Möglicherweise auch eine Parabel über Erfolg und Misserfolg - eines der Mädchen wird Tänzerin, die andere nicht. Dann eine schier unendliche Phalanx möglicher politischer Ansätze - Vorstädte, Chancengleichheit oder deren Fehlen, Schwarz vs. Weiß, Kriminalität, und so weiter. Dann der Medienboom im England der 90er Jahre. Das stressgeplagte und seltsam entrückt Leben eines internationalen Popstars (für den die Erzählerin später arbeitet ). Und nicht zuletzt die Schilderung eines gut gemeinten, letztlich aber oft fehlgeleiteten Entwicklungshilfeprojekts in Afrika. Ich bin schon beim Aufzählen ganz außer Puste. Man fühlt sich als Leser thematisch oft überfordert.

Dazu kommt noch die seltsam distanzierte Erzählweise der Autorin. Die Ich-Erzählerin bleibt die ganze Zeit über namenlos, was einerseits gewollt sein mag, mich aber andererseits in dem ganzen Wust an politischen und gesellschaftlichen Ansätzen zusätzlich irritiert hat. Auch der seltsam lakonische Ton machte mich zunehmend fahrig und unaufmerksamer. Selbst bei der Schilderung gröbster Missstände kann sich die Erzählerin kaum mal zu einer Wertung aufraffen. Zu den größten Rätseln gehört dabei für mich ihre Freundschaft zu Tracey, dem anderen schwarzen Mädchen aus dem Viertel. Für mich handelt es sich hier gar nicht wirklich um eine Freundschaft, eher um eine Zweckgemeinschaft, die von Dominanz und emotionaler Ausbeutung geprägt ist.

Viele erzählerische Fäden laufen ins Leere, oder beziehen keine eindeutige Stellung. Der Popstar ist exzentrisch und überzogen, die Lehrer und Sozialarbeiter weltfremd, das Entwicklungshilfeprojekt scheint mal mehr, mal weniger zu gelingen. Keine einzige Figur war mir wirklich sympathisch, nichts hat mich wirklich berührt. Die Geschichte zerfasert zunehmend durch ständige Zeitsprünge, und groß angekündigte Vorausdeutungen verpuffen wirkungslos. Die Geschichte der Mädchenfreundschaft hätte dabei noch die größte Chance gehabt, zum Bedeutungsträger des Buches zu werden – doch auch hier bleibt alles im Ungefähren. Keiner ist wirklich Gewinner oder Verlierer. Das Ende bleibt völlig offen.

Ich will der Autorin gerne zugestehen, dass sie eine gehaltvolle und metaphernreiche Sprache benutzt. Auch muss sie unglaublich recherchiert haben, allein für die zahlreichen politischen Blickwinkel. Ich habe jedenfalls noch kein Buch erlebt, bei dem selbst der Kauf von Ballettschläppchen oder der Verzehr von gewissen Nachspeise zum Politikum wird. Das habe ich teilweise auch als ungeheuer anstrengend empfunden. Im Nachhinein fühle ich mich, als hätte ich kein Buch gelesen, sondern ein Kind mit ADHS gehütet. Ich mag lieber die unaufdringliche Bedeutsamkeit, die sich aus sich selbst heraus ergibt.

Warum ich dennoch bei drei Sternen lande? Weil ich das unzweifelhafte schriftstellerische Talent der Autorin anerkenne, und weil ich gehaltvolle Sprache schätze. Und weil ich eine Vielzahl an möglichen Bedeutungsebenen zumindest erahne. Aber das Buch bleibt für mich eine „Kopfgeburt“, das sich nicht an wirkliche Leser, sondern an Feuilletonisten richtet.