Pendelnde Zeit

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sago Avatar

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Dieser Roman wurde für mich zu einem echten Überraschungs-Pageturner. Er beginnt mit dem Ende: Die Ich-Erzählerin ist von ihrer Chefin, der berühmten Popsängerin Aimee, entlassen worden und bekommt einen Schmähbrief, als sie in ihre Heimatstadt London zurückkehrt. Was ist geschehen?

Doch nicht diese Frage war es, die mich förmlich in einen Lesesog riss, sie wurde fast zur Nebensache. Vielmehr erschafft die Autorin Zadie Smith so plastische Figuren und begeisterte mit einem derart scharfsinnigen Blick auf die Welt und menschliche Schwächen, dass ich immer weiter lesen wollte. Der Stil ist brilliant. Endlich mäandern einmal wieder kunstvolle Sätze über eine Buchseite anstatt lieblos stakkatohaft aneinandergereiht zu werden, wie ich es bei meiner Nachfolge-Lektüre einer weiteren Autorin leider gerade durchleide.

In anderen Romanen hat es mich oft gelangweilt, wenn die Geschichte lange in der Kindheit der Protagonisten verweilt. Hier war es dagegen stimmig und abwechlungsreich, denn die Erzählung swingt wie im Titel zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her. Die Ich-Erzählerin und ihre Freundin Tracy lernen sich in einer Kinder-Tanzklasse kennen. Beide verbindet, dass sie einen weißen und einen farbigen Elternteil haben. Doch bei der Ich-Erzählerin ist es, so Tracy, "falsch herum": der Vater ist weißer Hautfarbe, das gilt als ungewöhnlich. Dass die Erzählerin das ganze Buch über namenlos bleibt, fiel mir erst nach einer geraumen Weile auf, so real erschien sie mir. Ihre Mutter ist von vielen Ambitionen erfüllt und studiert spät, erlangt schließlich ein politisches Amt, während der Vater planlos und verlassen zurückbleibt. Ganz anders Tracys Familie: Die Mutter wirkt sehr einfach, der Vater, fast immer abwesend und gefährlich, ist angeblich ein Background-Tänzer Michael Jacksons. So unterschiedlich wie ihre Familien sind auch die Mädchen. Tracy ist begabt genug, professionelle Tänzerin zu weren, wenn es auch nie zu mehr reicht als kleineren Rollen. Die Erzählerin studiert, wird dann aber wie erwähnt Assistentin eines Popstars (War hier Madonna Vorbild?). Deren Leben nimmt die Erzählerin so in Anspruch, dass es ihrem Umfeld fast wie eine moderne Form der Sklaverei erscheint.

Als Aimee in Westafrika eine Schule für einheimische Mädchen bauen lässt, engagiert die Erzählerin sich sehr für dieses Projekt, das sie auf die Spuren ihrer eigenen Wurzeln bringt. Die Verbindung zu Tracy gerät für längere Zeit aus dem Blick und lebt erst zum Ende des Buches wieder auf. Insgesamt hat mich der Abschluss der Geschichte nicht völlig zufrieden gestellt, hier schwingt das Pendel ein wenig ins Leere. Das fällt allerdings angesichts des Lesegenusses nur wenig ins Gesicht.
Der Buchumschlag hat dagegen meinen persönlichen Geschmack gar nicht getroffen. Ich mag bildhafte Cover, dieses besteht nur aus Schrift in aggressivem Gelb-Rot-Schwarz.