Manche Bücher machen mich ärgerlich ...

Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern
tsubame Avatar

Von

... und der Roman "Tasmanien" von Paolo Giordano ist ein solches.

Klappentext: "Tasmanien erzählt die Geschichte eines Mannes, der die Kontrolle über sein Leben verloren hat und nun auf der Suche nach seiner, nach unserer Zukunft ist."

Ich glaube nicht, dass der Protagonist des Buches, der zufällig genauso heißt wie der Autor selbst, überhaupt auf der Suche ist. Und schon gar nicht sucht er nach meiner/unserer Zukunft. Ich glaube eher, dass er von all den Krisen in der Welt wie Terror, Klimawandel, etc. bereits so abgestumpft ist, dass er gar nicht weiß, was ihm eigentlich fehlt.

Nachdem ihm seine ältere Lebensgefährtin dann auch noch mitteilt, dass sie nach Jahren vergeblicher Versuche schwanger zu werden, nun nicht mehr "die Absicht habe", stürzt es Paolo in eine tiefe Krise. Er lässt sich treiben und später dann regelrecht gehen. (Verstörend fand ich übrigens, dass sich der Protagonist Hinrichtungsvideos auf Youtube ansieht).

Durch seinen Freund Giulio lernt er den Wolkenforscher Novelli kennen, dem der Roman seinen Titel verdankt. Denn auf die Frage hin, wo dieser im Fall der Apokalypse Land kaufen würde, antwortet Novelli :" In Tasmanien. Es ist südlich genug, um nicht unter extremen Temperaturen zu leiden. Es hat reichlich Süßwasserreserven, wird demokratisch regiert, und es leben dort keine Fressfeinde der Menschen. Es ist nicht zu klein, ist aber jedenfalls eine Insel, also leicht zu verteidigen."

Paolo fühlt sich zu diesem Mann hingezogen.

"An ihm zog mich im weitesten Sinn die Intelligenz an, oder besser, die Strenge, mit der die Intelligenz einsetzte. Aber es war nicht nur das. Er gefiel mir aus einem Grund, der über den Gedankenaustausch hinausging, über die gemeinsamen Wurzeln in der Physik und die geteilte Sorge über die Erderwärmung. Seine Physis hatte viel damit zu tun. Meistens wird in Männerfreundschaften die körperliche Komponente unterschätzt, aber in einigen meiner Männerfreundschaften spielte sie eine zentrale Rolle. Novelli machte da keine Ausnahme: das runde Gesicht, die glänzenden dunklen Augen, der nicht eigentlich dicke, aber doch füllige Rumpf, betont auch durch die enganliegenden Hemden, die er gern trug. Er befasste sich mit Wolken, schien aber wesentlich mehr Bodenhaftung zu haben als ich, und das vermittelte mir ein Gefühl von Konkretheit, in einem Moment, da ich ganz offensichtlich das Bedürfnis danach verspürte." (S. 133)

Meine Schlussfolgerung: der Protagonist befindet sich in einer regressiven Phase und sucht nach einer Vater- und Leitfigur.

Novelli wird sich später als absoluter Chauvinist mit frauenverachtenden Thesen herausstellen, aber Paolo wird ihm trotzdem nicht die Freundschaft aufkündigen, auch wenn er sich von den Aussagen des Wolkenforschers distanziert.

Währenddessen ist Paolos Ehe auf einem Tiefpunkt angelangt. Paolo meidet das gemeinsame zuhause, reist (trotz Klimaängsten) noch mehr als zuvor in der Welt herum, wohnt in Hotels und lässt den/die Leser(in) auch an seinen dortigen Aktivitäten teilhaben:

"Nach dem Check-in tat ich immer die gleichen Dinge in der gleichen Reihenfolge: masturbieren, ausgiebig heiß duschen, an die Minibar gehen, einen Toast aufs Zimmer bestellen, Lorenza anrufen, bevor ich zu betrunken war, um das Gespräch führen zu können, noch mehr trinken, nochmal masturbieren, wenn ich die Kraft dazu hatte." (S.237)

Spätestens an dieser Stelle habe ich um die Bäume getrauert, die für das Buch ihr Leben lassen mussten. Wenn ich dann noch lese, dass dieser Roman in Italien monatelang auf der Bestenliste stand und das meistgelesene Buch des vergangenen Jahres ist, gibt mir das wirklich zu denken.

Da Paolo unbedingt ein Buch schreiben will (warum eigentlich?) wählt er als Thema die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki. Das passt natürlich gut zu der depressiven Stimmung des Protagonisten, der rein gar nichts unternimmt, um seine und die Lage der Welt positiv zu beeinflussen. Immer sind es die Anderen, die auf ihn zugehen müssen.

Und was findet Paolo schließlich am Ende seiner Odyssee heraus, als er von einer Japanerin gefragt wird, warum er über die Bombe auf Nagasaki schreiben will? Achtung spoiler!!! "Ich schreibe über alles, was mich zum Weinen gebracht hat".

Warum, frage ich mich da, führen manche Leute nicht einfach ein Tagebuch, anstatt aus ihren persönlichen Krisen gleich ein Buch zu machen?

Nein, mich hat das Buch nicht zum Nachdenken gebracht. Mich hat es verärgert und ich hoffe nicht, dass der Autor Paolo Giordano seinem Protagonisten Paolo in irgendeiner Weise gleicht. Vielleicht sollte dieser ein wenig Camus lesen und sich mit der Absurdität des Lebens beschäftigen. Dann könnte er lernen, das Absurde zu akzeptieren und dagegen zu rebellieren.

Von mir leider keine Leseempfehlung für diesen Roman, der mich in keiner Weise bereichert hat.