Die Windsors zwischen Fakten und Fiktion

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Dass Elizabeth die Zweite, Königin von England, ein sechsjähriges Mädchen war, ist fast 90 Jahre her. Damals, 1932, war sie Prinzessin und die Tochter des Herzogs und der Herzogin von York und wurde von allen nur "Lilibet" gerufen. Dass sie einmal Königin von England werden würde, sogar die mit der längsten Amtszeit aller Zeiten, wusste sie damals noch nicht. Wie auch, ihr Onkel David, der spätere Edward VIII., war als Prinz von Wales Thronfolger und ihr Vater Albert "nur" die zweite Wahl. Dass er als George VI. später König und sie Thronfolgerin werden würde, galt als unwahrscheinlich. Dennoch ist es mit der Abdankung ihres Onkels im Zuge seiner Beziehung mit der Amerikanerin Wallis Simpson im Dezember 1936 so gekommen. Fiktionale Bearbeitungen vom Leben der Queen gibt es einige. Wendy Holdens Roman "Teatime mit Lilibet" befasst sich nun mit der Zeit, in der Elizabeth zwar eine privilegierte Prinzessin, aber von der Bürde des Throns noch nicht gezeichnet war - zunächst zumindest.

Die Protagonistin des Romans, Marion Crawford, war tatsächlich für 16 Jahre die Gouvernante der späteren Queen und ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Prinzessin Margaret. Crawford hat sogar ein Buch über die Kindheit der Queen und ihrer Schwester geschrieben ("The little Princesses"), das Wendy Holden als Quelle und Inspiration für ihren Roman gedient hat. Dieses Buch hat auch zum Bruch der Royals mit Crawford geführt, d.h. über die langjährige Gouvernante wurde nicht mehr gesprochen, sie wurde in der Öffentlichkeit totgeschwiegen. Um also nachprüfen zu können, wie viel in diesem Roman Fiktion ist und welche Fakten den Lebenserinnerungen Crawfords entstammen, müsste man beide Bücher gelesen haben.

In "Teatime mit Lilibet" wird die glamouröse Welt der Royals nicht verklärt - im Gegenteil. Die Protagonistin, die eigentlich die Armen und Bedürftigen in ihrer schottischen Heimat unterrichten wollte, ist gleichzeitig fasziniert und abgestoßen vom dekadenten Leben der königlichen Familie. Sie gerieren sich für Außenstehende wie Schauspieler, bei denen sich die öffentliche von der privaten Rolle eklatant unterscheidet. Dennoch sind sie auch Menschen mit Begierden, Krankheiten und Träumen. Als skurril wird das Verhalten fast aller Royals beschrieben. Wenn sie zum Beispiel einerseits "bodenständigen" Aktivitäten wie Gartenarbeit nachgehen und gleichzeitig wie selbstverständlich von Dienern, Gold, Diamanten und Überfluss umgeben sind. Crawford versucht die junge Elizabeth mit wirklich bürgerlichen Aktivitäten ("Operation Normal") wie U-Bahn-Fahren und Einkaufen sowie kindgerechter Kleidung ohne Tüll und Spitze vertraut zu machen. Das ist das eigentliche Verdienst der linksorientierten Gouvernante aus Schottland, die auch die Kehrseite der Medaille und das prekäre Leben der Armen kennt, das sie der verwöhnten Prinzessin nahe bringen möchte. Immer wieder aber scheitert sie in ihrer Mission an den elitären Regeln der "Firma".

Sprachlich ist der Roman nicht anspruchsvoll und wenn man sich ein wenig mit der Geschichte der Windsors beschäftigt hat, sollte es auch keine Verständnisprobleme geben. Erzählerisch hätte manches etwas mehr ausgearbeitet werden können, vieles wird nur anerzählt und mündet dann schon wieder im nächsten Ereignis. Zum Beispiel die Gedanken angesichts der "Männergeschichten" von Crawfie (so wird sie von Elizabeth genannt) sowie ihre Zerrissenheit zwischen Königshaus und Edinburgher Slums bzw. einem erzwungenen Singledasein als königliche Gouvernante und dem Wunsch nach Liebe und Familie bleiben nur oberflächlich. Es gibt viele Zeitsprünge und allgemein wird sehr episodisch erzählt. Manchmal gleichen die Ausführungen der Autorin auch Auszügen aus einem Geschichtsbuch. Der Roman wird vor allem in der zweiten Hälfte mit den geschichtlichen Ereignissen der damaligen Zeit unterfüttert. Die Handlung wird im Zuge dessen immer dünner und hangelt sich an den historischen Fakten entlang.

Wenn man sich so wie ich für die englische Königsfamilie interessiert, ist dieser Roman eine wunderbare Gelegenheit einmal durchs royale Schlüsselloch zu linsen. Wie gesagt sollte man wissen, dass nicht ganz klar ist welche erzählten Ereignisse (abseits der historischen Fakten) und Gespräche der Erinnerung der realen Marion Crawford, Wendy Holdens Einbildungskraft oder einer anderen Quelle entstammen. Wer einen Abgleich des Erzählten machen möchte, sollte also neben dem Roman zumindest noch Crawfords Autobiografie lesen. Auf meiner Wunschliste steht sie bereits.