Der Mensch hinter dem Nationalhelden

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Wilhelm Tell, Nationalheld in der Schweiz, Symbol für den Freiheitskampf gegen die Habsburger, sein Leben vielfach erzählt, ausgeschmückt, in Verse gefasst, recherchiert,… Wer braucht da noch einen weiteren Roman über ihn?
Und doch braucht es ihn, wenn er aus der Feder von Joachim B. Schmidt stammt. Sein erster Roman, der bei Diogenes erschienen ist, Kalmann, eine Art Krimi, die auf Island spielt und aus Sicht eines geistig behinderten jungen Manns erzählt wird, wurde gleich ein Erfolg. Viele Leser:innen freuen sich, dass es dieses Jahr wieder einen Schmidt im Diogenes-Programm gibt. Kleine Warnung voraus: Tell ist völlig anders erzählt als Kalmann, man muss offen sein für Neues. Schmidt ist ein Autor, der überrascht.
Wilhelm Tell, ein wortkarger, eigenbrötlerischer Bergbauer. Seine Familie hat es nicht leicht mit ihm, er ist hart, teilweise gewalttätig, unberechenbar. Den Tod seines Bruders Peter, der so ganz anders war, fröhlich, freundlich, voller Tatendrang, hat er nie überwunden.
Das Land ist von den Schergen der Habsburger unterdrückt, die voller Willkür, Gewalt und Ungerechtigkeit schanzen. Man fürchtet sich, versucht sich wegzuducken, doch nicht immer gelingt das. Und so kommt es zu jener Szene, die wir alle kennen. Tell wird gezwungen, seinem Sohn einen Apfel mit der Armbrust vom Kopf zu schießen.
Das Faszinierende an diesem Roman ist, wie erzählt wird. Es sind kurze Sequenzen, die aus der Sicht von 20 verschiedenen Protagonisten erzählt werden. Tells Frau Hedwig kommt zu Wort, sein Sohn Walter, der Pfarrer, auch der habsburgische Landvogt, einer der Nachbarn Tells, sowie ein paar Soldaten.
Sie alle werden sehr menschlich gezeichnet, mit ihren Fehlern, ihren guten Seiten, ihren Sehnsüchten und Hoffnungen und ihrem Umfeld.
Tell liest sich unglaublich spannend, entwickelt einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Eine altbekannte Geschichte neu erzählt! Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung.