Die Sage neu geschnitten und montiert

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marcus kischel Avatar

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Über Wilhelm Tell Wusste ich nicht viel. Ich hatte vor einigen Jahren Schillers Schauspiel in der Inszenierung von Stephan Bachmann gesehen, sie als großartig abgelegt, ohne mich an die Handlung im Detail erinnern zu können. Und die berüchtigte Apfelschussszene schwirrt seit meiner Jugend natürlich irgendwo in meinen Kopf herum.
Ob Joachim B. Schmidt die Tellsage also gut wiedergegeben hat, ob er ihr wichtige neue Erkenntnisse hinzugefügt hat, kann ich nicht beurteilen.
Beurteilen kann ich aber, dass Joachim B. Schmidt eine großartige Geschichte geschrieben hat. Von einen Mann am Rande der Gesellschaft, der der Leser*in erstmal nicht sympathisch erscheint, dessen Schicksal sich erst zum Ende erschließt. Und dieser Mann ist auch kein Volksheld, sondern einer der einen sehr persönlichen Kampf führt.
Diese Geschichte erzählt Schmidt aus, in schneller Schnittfolge montierten Berichten vieler, unterschiedlicher Stimmen. Die eigentlich kompakte Kernhandlung wird dadurch ausgeweitet, es entsteht ein glaubhaftes Universum, von einer Gesellschaft, lange vor unserer Zeit, die ein harsches, unsicheres, von Gewalt geprägtes Leben führt.

In dieser Montage liegt der Reiz dieses Buches. Es ist ein großes Vergnügen dieser Geschichte bei hohen Tempo von Sequenz zu Sequenz, Beobachtung zu Beobachtung, Stimme zu Stimme zu folgen.

Und in einer Schlussszene, die die eigentliche Tragik der Handlung bricht, zeigt und Joachim B. Schmidt dann noch, wie aus dem persönlichen, individuellen Wirken eines Einzelnen das große Nationalepos wird. Großartig.