Ein Klassiker - neu erzählt

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yolande Avatar

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„Klassiker sind verstaubt und langweilig“, Vorurteile, die aber in vielen Fällen durchaus ihre Berechtigung haben.

Joachim B. Schmidt hat es aber geschafft, aus dem uralten Stoff der Tell-Sage einen modernen und mitreißenden Roman zu schreiben. Kurze, ständig wechselnde Ich-Perspektiven werfen die verschiedensten Blickwinkel auf die jeweilige Situation und auch auf den Charakter Tells, der sich so nach und nach herausschält, ohne dass er zunächst selbst zu Wort kommt. Dabei wirkt die Geschichte in keiner Weise so hektisch, wie diese Erzählweise vielleicht vermuten lässt. In Vorbereitung auf dieses Buch habe ich die klassische Bühnenversion von Friedrich Schiller gelesen, der sich relativ eng an die mittelalterliche Vorlage von Tschudi gehalten und die Tell-Legende mit dem Rütli-Schwur und somit der Gründung der Ur-Schweiz verbunden hat. Diese politische Dimension hat Schmidt hier zwar nicht völlig, aber doch relativ außer Acht gelassen. Er erzählt mehr von der brutalen und menschenverachtenden Besatzung der Schweiz durch die Habsburger und dies teilweise äußerst drastisch, aber wahrscheinlich realistisch. Das ist ziemlich harte Kost und nicht unbedingt etwas für zarte Gemüter. Auch ich musste so manches Mal das Buch zur Seite legen. Tell ist ein schwieriger und unnahbarer Charakter, nicht unbedingt sympathisch, aber so nach und nach entwickelt sich ein Verständnis für ihn und sein Verhalten. Das Buch liest sich flott und, obwohl die Geschichte in den Grundzügen natürlich bekannt ist, spannend wie ein Krimi. Es ist eine großartige Geschichte über Unterdrückung und Rache, aber auch Familie, Liebe und Gemeinschaft.
Prädikat: Äußerst lesenswert!