Ein Thriller ohne einer zu sein...

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mike nelson Avatar

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Die Geschichte des schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell - als unprätentiös geschildertes Heldenepos. J.B. Schmidt reiht sich mutig ein, haben sich doch bereits Friedrich Schiller und Max Frisch dieses Stoffes angenommen. Anders als bei Schiller beschränkt sich Schmidt auf einen zentralen Handlungsstrang und lässt uns zudem recht eindrücklich teilhaben am einfachen, bäuerlichen Leben; Kernthema des bäuerlichen Lebens ist das Überleben - das meint zum einen die todbringenden Gefahren der Natur und zum anderen die ausbeuterische und gewalttätige Herrschaft der Habsburger in der Mitte des 14. Jahrhunderts, hier in der Tell-Geschichte vertreten durch den Landvogt Gessler und seine Vasallen. Auch die Kirche ist in dieser Zeit kein sicherer Ort - den ungeschützten Kindern widerfährt der Missbrauch. Auf seine ganz spezielle Weise schildert Schmidt aber auch eine Zeitenwende. Nicht nur dass der Bauer Wilhelm Tell vom Tellhof den Landvogt im Nachgang des legendären Apfelschusses tötet und damit die Sehnsucht der Bauern nach einem Ende der Unterjochung schürt; auch der Landvogt selbst hegt bei Schmidt Zweifel an dem Sinn der Gewalt und entdeckt im Tode noch sein Menschsein, indem er an seine Tochter denkt, die er als Vater noch nicht zu Gesicht bekommen hat. Schmidt scheint es weniger darum zu gehen, Wilhelm Tell als einen Aufständigen zu beschreiben, vielmehr lässt er ihn einen Vater sein, der seine Familie behüten will. Das Vatersein ist hier die eigentliche Heldenrolle. Vater ist er in der Hauptsache gewesen - zum Helden erkärt hat man ihn erst später. Anfangs verwirren die vielen kurzen Kapiteln und die rasanten Perspektivwechsel. Aber schon bald mag man nicht mehr aufhören, sich von der Handlung und der wunderbaren Sprache bis zur letzten Seite vorantreiben zu lassen. Und das schafft ja ein guter Thriller.