Eine gelungene Neuinterpretation

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emma217 Avatar

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In "Tell" von Joachim B. Schmidt wird die klassische Sage in kurzen Kapiteln aus der Perspektive von 20 verschiedenen Personen erzählt. Wilhelm Tell ist ein einfacher Bergbauer, der mit seiner Familie ein ruhiges, zurückgezogenes Leben führen möchte. Doch seine Wilderei wird von den Habsburger Soldaten, die die örtliche Bevölkerung drangsalieren, nicht gerne gesehen. Die Handlung läuft auf eine Eskalation zu, die schließlich im berühmten Apfelschuss mündet.

Zugegebenermaßen bin ich nicht sonderlich gut vertraut mit der Sage des Schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell. Doch von einem klassischen Helden könnte der verschlossene, fast schon gebrochene Mann nicht weiter entfernt sein. Wir Lesenden verfolgen die Geschichte aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln und fragen uns, was ihn zu solch einem Menschen werden ließ. Trotz oder gerade aufgrund der schnellen Perspektivwechsel lernt man auch viel von den damaligen harten Bedingungen, dem alltäglichen Leben auf einem Schweizer Bergbauernhof und auch von den Gräueltaten der Habsburger. Die Teilnahmslosigkeit, mit der von letzteren berichtet wurde, fand ich teilweise nur schwer zu ertragen. Doch im Zentrum steht zu jeder Zeit dieser grantige Mann Wilhelm Tell, der es seiner Frau und seinen Kindern nicht leicht macht ihn zu lieben und für den ich doch mit jeder gelesenen Seite mehr Mitgefühl empfand.

Anfangs tat ich mich etwas schwer damit die vielen Personen auseinanderzuhalten und einen Sinn hinter den Geschehnissen zu erkennen. Doch mit jedem kurzen Kapitel wurde ein weiteres Detail offenbart, bekam ein neues Puzzleteil seinen Platz bis schließlich ein stimmiges Gesamtbild der Geschichte entstand. Ich möchte jedoch dem Klappentext widersprechen der Vergleiche mit großen Blockbustern und modernen Netflix-Serien zieht. Doch entwickelte die Geschichte auch auf mich ab ca. der Mitte des Buches einen Sog, dem ich mich bis zum Ende nicht mehr entziehen konnte.

Fazit: Mit "Tell" ist Joachim B. Schmidt eine spannende Neuinterpretation gelungen, die sich ganz auf die Person Wilhelm Tell konzentriert und die ich gerne allen empfehle, die sich auf eine ungewöhnliche Erzählweise einlassen möchten.