Keine bloße "Nacherzählung"

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Wie habe ich mich gefreut, als ich sah, dass Joachim B. Schmidt sich des Tell-Stoffs angenommen hat. Denn „Kalmann“ war ein echtes Leseerlebnis. Nun also das schweizerische Literaturnationalheiligtum. Zur eigentlichen Handlung wird man ja nicht mehr viel schreiben müssen. Kommen wir daher dazu, wie das Buch beschrieben wird und ob sich das nach der Lektüre bewahrheitet hat: Neuerfindung der Tell-Saga, Bruderdrama, historischer Schmöker, Thriller, frisch, schillernd, Sog entfaltend, fast 100 schnelle Sequenzen, recht viele Protagonisten, explosiver Showdown entgegen. Was die reinen Fakten angeht, stimme ich der Beschreibung zu und ja, auch der Vergleich mit „The Revenant“ in den Alpen trifft es ganz gut. Aber … bei den anderen Punkten weiß ich nicht so recht. Bei „Kalmann“ fand ich die recht kurzen, sehr einfach gehaltenen Sätze ein geeignetes Stilmittel, um die Einfachheit der Figur zu unterstreichen – und es passte auch zu Island. Auch hier kann man sagen, dass der Schreibstil eben die Handlung vorantreibt. Das gelingt durchaus. Allerdings liest es sich mit der Zeit einfach nicht so schön. Natürlich ist „Tell“ keine bloße Nacherzählung, sondern eine Art Transposition des Stoffs in eine plausibler wirkende Geschichte, indem Schmidt Tell schlicht vom Sockel stößt. Die Idee ist gut und wenn ich mir die vermeintlich reale „hohle Gasse“ am Vierwaldstättersee ins Gedächtnis rufe, läuft das Kopfkino mit der hier erzählten Geschichte los. Deshalb würde Schmidts „Tell“ für mich auch als Vorlage für eine Verfilmung hervorragend funktionieren, vielleicht auch als Hörbuch. Beim Lesen stört mich auf Dauer der zur Erhöhung des Tempos wohl notwendige „abgehetzte“ Tonfall, sodass ich nicht anders kann, als die 3,5 Sterne abzurunden.