Wilhelm Tell – der Mensch hinter der Heldenfigur

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biancaneve_66 Avatar

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Die Sage des Schweizer Nationalhelden wird in diesem spannenden Buch neu erzählt. Der Autor habe die moderne Erzählweise vom isländischen Erzähler Einar Kárason übernommen, der die Sturlungen-Saga neu verpackte. Die Wiedergabe durch die Protagonisten macht den Text authentisch und enthüllt die Heldenfigur Tell als eigenbrötlerischen Familienmenschen und sturen Bauern, der eigentlich nur in Ruhe gelassen werden will.
Das Cover – ganz Diogenes – ist schlicht und mit dem blutroten Apfel in der Abbildung doch recht einprägsam und eindeutig in Bezug auf den bedeutenden Schuss des Wilhelm Tell. In zehn Kapiteln stellen verschiedene Ich-Erzähler nach und nach Tells Eigenheiten vor. Abschnitt für Abschnitt werden dadurch Schichten aufgebaut und die wahren Stärken und Schwächen des Mannes treten zutage. Die politische Funktion bleibt in diesem Buch außen vor. Das Hauptaugenmerk liegt auf der menschlichen Seite des Nationalhelden. Tell selbst – wortkarg wie er beschrieben wird - kommt erst gegen Ende des Buches zu Wort. Die Sprache ist in ihrer Schlichtheit sehr beeindruckend und durch die Ich-Erzähler fühlt sich der Leser direkt angesprochen und ins Geschehen hineingezogen.
Die Charaktere sind sehr authentisch gezeichnet und geben neben ihrer Sicht auf den Nationalhelden auch ganz persönliche Einblicke über die Zeit und ihr eigenes Leben. So kommen auf Seite der Schweizer Familienmitglieder und Nachbarn zu Wort, aus Sicht der Habsburger Soldaten und der Landvogt selber. Insgesamt wird dadurch ein allzu menschlicher Tell zum Vorschein gebracht, und man kann sich nicht vorstellen, dass sich die Geschichte anders als hier geschildert zugetragen haben mag. Wer könnte auch beweisen, wie Tells Leben vor einigen hundert Jahren tatsächlich verlaufen ist?
Leser, denen die Geschichte bereits bekannt ist, werden auf Bekanntes wie den Gesslerhut, die Armbrust und den Apfel stoßen; und dennoch werden sie einiges aus Tells Leben dazulernen, von dem sie nicht wussten – oder nichts wissen konnten. Diejenigen, die tatsächlich zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Schweizer Nationalhelden machen, werden dies auf recht spannende und fesselnde Weise erleben dürfen.
Dem Autor ist mit diesem Roman ein absolut lesenswertes Buch gelungen. Es ist sicher einiges an Mut nötig, den Schweizer Nationalhelden auf diese Weise darzustellen. Aber der Mut hat sich absolut gelohnt, weil dadurch eine überaus runde Geschichte ans Licht kam, die das „Heldentum“ nicht herunterspielt, sondern vielmehr durch ein gehöriges Maß an Menschlichkeit sogar noch aufwertet.