Familiengeschichte mit Leerstellen.

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literaturentochter Avatar

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»»Wann kommst du endlich nach Iran?«, hatte mein Vater immer am Telefon gefragt. »Ich weiß es nicht, wenn ich mit meinen Prüfungen fertig bin, irgendwann.« Ich hatte immer gerade Prüfungen. Eigentlich hatte ich es nie wirklich vor. Mein Leben lang hatte mich meine Mutter davor gewarnt, in »so ein Land« zu reisen« (S. 10).

Und dann wird aus diesem irgendwann ein jetzt – Ich-Erzählerin Nilufar reist 2016 in den Iran. Ein für sie unbekanntes Land, mit ihr unbekannten Familienmitgliedern. Sie kommt mit vielen offenen Fragen ins Land und erhofft sich Antworten, doch diese fallen fast schon erdrückend oberflächlich aus.
Alle Versuche ein Gespräch zu vertiefen gelingen nicht. Die Kommunikation gestaltet sich als kompliziert, Geheimnisse bleiben und durch die herrschenden Regeln im Iran, mit denen sich die Autorin nicht identifizieren kann, findet ihr Wunsch nach Zugehörigkeit und Identitätsfindung keine Erfüllung.

Der Roman beginnt mit einem zeitlichen Rückblick, in der die Leserschaft Koshrow (Nilufars Vater) im Jahre 1989 in Deutschland begleitet. Innerhalb der Lektüre kommt es immer wieder zu Szenen aus der Vergangenheit, in der Koshrow eine Rolle spielt. Dadurch wird der Wunsch nach einer Intensivierung einer Tochter-Vater-Beziehung deutlich. Nilufars Mutter findet sich im Roman kaum wieder und bleibt somit eine Unbekannte.

Nach der Rückkehr aus dem Iran hätte ich mir mehr Reflexion über die Erlebnisse und Eindrücke gewünscht. Das Buch endet mir hier zu abrupt.
Vor der Reise und teils auch während des Aufenthalts im Iran lässt uns Protagonistin Nilufar an ihren inneren Dialogen teilhaben, auch durch die Kommunikation zu ihrer Partnerin Alex wird ihr emotionales Erleben deutlich. Die Gespräche zwischen ihr und Alex werden jedoch immer seltener. Woran das liegt, bleibt im Verborgenen.

Im Mittelpunkt der Handlung landet dadurch immer wieder Koshrow, der aber selbst in Bezug auf die Gegenwart verschlossen wirkt und lieber Geschichten aus der Vergangenheit preis gibt – über sein berufliches Scheitern in Deutschland und die Rückkehr in den Iran.

Je mehr ich in diesem Buch gelesen habe, desto mehr wird die Zerrissenheit von Nilufar deutlich. In Deutschland erfährt sie Alltagsrassismus, nicht nur von Fremden, sondern auch unterschwellig durch die eigene Partnerin. Im Iran ist die Protagonistin unsicher, weiß nicht, wie sie sich im öffentlichen Raum geben soll. Gleichzeitig kann sie sich nicht vollkommen ihrer gastfreundlichen Verwandtschaft öffnen, ihre romantische Beziehung zu einer Frau bleibt ein Tabuthema.

Die Sprache in diesem Roman ist oftmals lyrisch angehaucht, das Erleben wird greifbar und gleichzeitig bleibe ich am Ende mit offenen Fragen zurück.

CN: Rassismus, Unterdrückung.