Identitätssuche auf zwei Kontinenten

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Nilufar lebt mit ihrer Freundin in Berlin und studiert Psychologie, sie ist die Tochter einer deutschen Mutter, ihr Vater stammt aus Iran. Als Nilufar nun das erste Mal in ihrem Erwachsenenalter nach Iran reist, um ihre Familie väterlicherseits zu besuchen, sieht sie sich mit einer Kultur und Gesellschaft konfrontiert, die ihr teils fremd vorkommt.

Zur Vorbereitung ihrer Reise schaut sie sich die Beziehungen ihres Vaters, ihrer Onkel, Tanten und Cousinen an, welche sie auf einem Flipchartbogen festgehalten hat. Dieser dominiert von Linien – gezackt und gekreuzt. Nilufar hält dort fest, wer mit wem gut zurechtkommt, welche Verwandten sprechen, auch aufgrund ihrer politischen Einstellungen, nicht mehr miteinander u.s.w.
Sie schaut den Bogen an und erinnert sich an den letzten Besuch ihres Vaters in Berlin vor fünf Jahren. So versucht sie sich auf eine Reise vorzubereiten, für die sie sich eigentlich noch nicht bereit genug fühlt. Andererseits kann sie den Gedanken nicht mehr zur Seite schieben, "dieses Land" einmal mit eigenen Augen zu sehen.

Als Nilufar dann endlich iranischen Boden betritt, wird sie von ihrer Familie herzlich aufgenommen, welche ihr doch irgendwie so fremd ist. Sie ist dankbar für die Zuneigung dieser Menschen, aber ihr ist auch bewusst, dass sie sich ab dem Zeitpunkt ihrer Landung, in der "Bubble" der Familie befindet und auf sie angewiesen ist. Nilufar versteht Persisch besser, als sie es spricht. Dennoch ist es nicht genug. Sie ist auf die Übersetzungen durch ihre Cousine Narges angewiesen. Und auch mit der Erkundung dieses, für sie neuen Landes, ist es nicht so einfach. In Berlin fühlt sie sich unbekümmert und geht auch im Dunkeln auf die Straße. In Iran traut sie sich das nicht, aufgrund der vielen "Vorschriften und Schwierigkeiten", von denen ihr Vater ihr immer wieder am Telefon erzählt.
Nilufar kommt nicht umhin, sich mit der gleichaltrigen Narges zu vergleichen. Mit Anfang 30 lebt diese noch bei ihren Eltern, obwohl sie eine erfolgreiche Bauingenieurin ist und ihr eigenes Team leitet. Für Nilufar ist das undenkbar, sie liebt ihr unabhängiges Leben in Berlin.

Und so lassen sie diese Vergleiche zwischen Deutschland und Iran einfach nicht los. Sie begibt sich auf dieser Reise in eine Identitätssuche zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen. Wie wird diese Reise Nilufar verändern und wie werden sich die Beziehungen zu den einzelnen Familienmitgliedern entwickeln?

"Terafik" von Nilufar Karkhiran Khozani hat mich so sehr bereichert. Die Autorin spricht dabei so unglaublich viele verschiedene Themen an, dass sie kaum alle in diesem 255-seitigen Buch genug Platz finden. Liebe, Freundschaft, Familie, kulturelle Identität, Politik, Beziehungen, Feminismus, etc. - Ich hätte so gerne noch mehr über Narges und Nanejun erfahren. Das einzige Familienmitglied, welches wirklich eine große Bühne bekommt, ist Nilufar´s Vater. Die Leser*innen erfahren über ihn so viel und doch bleiben so viele Dinge, gerade zwischen Nilufar und ihm, unausgesprochen. Gerade in dieser Beziehung wird nochmal deutlich, welche Ambivalenz in Nilufar herrscht. Fühlt sie sich als Iranerin oder Deutsche?

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen. Durch Nilufars Augen konnte ich ein "kleines Stück" Iran und traditionelle Familienstrukturen kennenlernen. Das Buch hat mir aber auch Denkanreize in ganz andere Bereiche gegeben. Ein kleines Beispiel: Ich wurde mit meiner eigenen Ignoranz konfrontiert, weil ich immer davon ausgegangen bin, dass vor Iran stets ein Artikel eingesetzt wird. Und da ich dies auch schon so oft in anderen deutschsprachigen Publikationen gelesen habe, frage ich mich, wie das bei einem so großen Land sein kann. Meine Gedanken hierzu, lass ich noch ganz sicher eine Weile nachwirken.
"Terafik" von Nilufar Karkhiran Khozani kann ich jeder*r Leser*in ans Herz legen, welche sich für hybride Identitäten interessieren und sich gerne mit familiären Beziehungsgeflechten, seien sie noch so kompliziert, auseinandersetzen.