Das falsche Leben

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theresia626 Avatar

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„Tessa“ von Nicola Karlsson ist das ungewöhnlichste Buch, das ich seit langem gelesen habe. Es ist die Geschichte einer jungen achtundzwanzig Jahre alten, schönen Berlinerin, die von Gelegenheitsjobs als Model gelebt hat. Sie hätte ein schönes Leben haben können, das Glück war auf ihrer Seite. Doch irgendwann ging etwas schief, und sie bekommt seitdem ihr Leben nicht mehr auf die Reihe. Sie ist ein körperliches Wrack, süchtig nach Liebe und Aufmerksamkeit, nach Tabletten, Alkohol und Koks und lebt einfach so in den Tag hinein. Abends reicht ihre Kraft gerade noch, um sich für eine angesagte Party zu stylen, bei der ihr sicher irgendein Kerl ein Glas Wodka, einen Cuba Libre oder ein Glas Champagner spendiert, und mit dem sie dann ins Bett geht. Sie trinkt bis ihr schwindlig ist, und es gibt keine Nacht, in der sie nicht betrunken ist. Morgens wandert ihr erster Blick zum Nachttisch, in der Hoffnung, noch auf die Reste in einer Flasche vom gestrigen Abend zu stoßen. „Nie wieder trinken. (…) Sie muss eine Trinkpause einlegen.“ (S. 48). Geld mit coolen Jobs hat sie schon lange nicht mehr verdient. Sie sollte Telefoninterviews mit Bewerbern führen, die in Doku-Soaps mitmachen möchten, doch auch diesen Job verliert sie. Ihre Wohnung ist verwahrlost, schmutzige Wäsche in jeder Ecke, überfüllte Aschenbecher und ständig diese Müdigkeit. Ihre Psychiaterin verschreibt ihr Barbiturate, Antidepressiva und Lithium, die sie mit Alkohol einnimmt. Dann hat sie keine Angst mehr vor dem Einschlafen, und ob sie morgen aufwacht, merkt sie morgen. (S. 95) Tessa ist unglücklich, ihr Freund Nick hält es mit ihr nicht mehr aus. Es gibt keinen Hoffnungsschimmer am Firmament, kein Licht am Ende des Tunnels. Bis Frieder auftaucht, doch auch er schaut nur hilflos zu.
Nicola Karlssons Debütroman „Tessa" ist das nüchterne, unsentimentale Protokoll eines unaufhaltsamen Niedergangs und gerade deshalb umso packender und erschütternder. Es ist ein deprimierend negativer Bericht, der den Leser nicht mehr loslässt. Auf jeder Seite hofft man, dass es irgendjemanden gibt, der ihr helfen wird. Doch nur sie selbst kann sich retten, wenn sie die Willenskraft und Disziplin dafür aufbringt. Am Ende ist die Einsicht da. „Sie wird sich ändern. (…) Sie muss anfangen, ehrlich zu sich zu sein.“ (S. 299). Wird sie es schaffen? Der Roman ist keine leichte Kost, aber er ist interessant und lesenswert, wenn auch ziemlich düster.