Das Zauberkraut des guten Geschmacks

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r.e.r. Avatar

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Mir hat schon der Prolog von Tom Hillenbrands kulinarischem Krimi “Teufelsfrucht” gefallen. Endlich einmal eine einführende Szene, die wirklich einen Hinweis darauf liefert was einen im Verlauf des Buches erwartet. Der Foodscout Aaron Keitel befindet sich auf einer Expedition in einer besonders unwirtlichen Gegend Papa-Neuguineas. Er ist auf dem Weg zu einem entlegenen Stamm um dort Früchte einzutauschen, die aussehen wir große Auberginen und unvergleichlich gut schmecken sollen. Am Ende des Prologs kostet Keitel von der Chatwa und beginnt zu weinen.

 

Es dauert einige Kapitel und fordert einige Tote bis das exotische Geschmackswunder wieder zur Sprache kommt. Aber diese Szene ist so prägnant, das sie im Hinterkopf präsent bleibt. So hat man als Leser einen Wissensvorsprung gegenüber der Hauptfigur. Man hat im Gefühl, das Xavier Kieffer früher oder später auf die Chatwa stoßen wird. Den Weg dorthin zu Lesen ist das Vergnügen.

 

Xavier Kieffer, ehemaliger Lehrling eines großen Sternekochs, betreibt ein kleines Restaurant am Rand von Luxemburg. Einfache regionale Küche prägt seine Speisekarte. Umso erstaunter ist er als eines Abends ein Kritiker des berühmten Gabin bei ihm auftaucht. Nachdem dieser die Vorspeise gegessen hat, bricht er tot über seinem Teller zusammen. Xavier findet heraus das der Tote zuvor bei seinem Lehrmeister Probe gegessen hat. Als der den Sternekoch Boudier daraufhin aufsucht findet er nur noch dessen niedergebranntes Lokal.

 

Was ich hier kurz zusammengefasst habe, ist im Buch bereits die halbe Geschichte. Hillenbrand ist ein guter Erzähler, mit einem Händchen für Atmosphäre. Xavier richtet an einem schönen Septemberabend die Tische auf seiner Restaurantterrasse her. Hängt seinen Gedanken nach, geht im Geiste das Menü des Abends durch, prüft gedanklich seine Weinvorräte. Freut sich darauf den Abend mit einer Flasche Moselwein zu beschließen. Nicht ahnend das sein Leben sich am Ende des Abends fundamental ändern wird. Das ist purer Lesegenuss. Man schwelgt förmlich in den geographischen Ausblicken über und den Einblicken in das Leben von Luxemburg. Die Küche, die Essgewohnheiten, die Sehenswürdigkeiten, die politische Leben, die Routine der Alltäglichkeiten eines Restaurantchefs. Wer das mit einem gekühlten Glas Riesling auf der eigenen Veranda oder dem Balkon liest, kann für ein Buch lang nichts mehr falsch machen.

 

Entspannt, mit dramatischen Einschüben, geht es weiter. Nachdem Xavier sein Restaurant wegen der polizeilichen Ermittlungen schließen muss, macht er sich auf die Spur des toten Kritikers. Diese führt ihn nach Paris wo er Valérie, die Chefin des großen Gabin-Verlages, kennenlernt. Diese gibt ihm den Hinweis, dass der Tote zuvor bei Boudin gegessen hatte und durch diesen überhaupt erst auf Xavier aufmerksam wurde. Xavier kennt die geheime Versuchsküche des Sternekochs. In dieser stößt er dann nicht nur auf zwei geheimnisvolle Tupperdosen, die nicht dem “Mise en place” seines Lehrmeisters entsprechen, sondern auch auf zwei Profikiller, denen er durch den Dunstabzug entkommt. Es lohnt sich alle Möglichkeiten einer Küche zu nutzen, wie sich an dieser Stelle zeigt.

 

Tom Hillenbrand arbeitete bislang als Journalist und wurde, laut Wikipedia, durch seine eigenwilligen Kolumnen und Glossen, beispielsweise über den Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum und Wirtschaftskrise bekannt. Das spiegelt sich im Buch wieder. Hier schreibt jemand, zumindest liest es sich so, mit großen Sachverstand. Nicht nur im Hinblick auf gutes Essen, gehobene Küche und die Hintergründe des Profi Kochzirkus. Er thematisiert die wissenschaftliche Lebensmittelforschung wenn er Xavier die Chatwa einem Forscher des Max Planck Institutes zur Untersuchung übergeben lässt. Er beschreibt die komplexen Zusammenhänge EU normierten Obst- und Gemüseanbaus wenn der Kieffer sich mit seinem Freund Pekka, einem EU Beamten unterhält. Er beschreibt die Tricks großer Konzerne zur kommerziellern Nutzung von Geschmacksverstärkern als der Koch auf die Spur des Lebensmittelchemikers Wyss stösst. Hier kommt die Chatwa wieder ins Spiel. Denn: “Glutamin ist einer der gängigsten Neurotransmitter. Er sagt deinem armen Gehirn zum Beispiel, dass die panierten Hähnchenabfälle, die du an einer Fast-Food-Bude gekauft hast, wahnsinnig lecker sind. Obwohl sie in Wahrheit schmecken wie frittierte Dachpappe.” Die Chatwa macht jedes Essen zu einem Festmahl. Warum solltet ihr beim Lesen herausfinden. Es lohnt sich!