Die Wunderfrucht mit dem "Wow"-Effekt

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philipp.elph Avatar

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Als „Luxemburgischer Bauernschädel“ wird Xavier Kieffer von seinem ehemaligen Lehrmeister, dem französischen Sternekoch Paul Boudier, bezeichnet. Aber Kieffer, der ein nettes kleines Restaurant in der Hauptstadt des kleinen Landes besitzt, indem er EU-Beamten und Bankern Gerichte der regionalen Küche vorsetzt und bewusst jegliche Attituden und Ansprüche eines Sternekochs, der er hätte werden können, vermeidet, ist wahrlich mehr als ein tumber Tor.
Als in seinem Restaurant der Kritiker des bedeutendsten französischen Restaurantführers tot umfällt, das noble Lokal seines Lehrmeisters abgefackelt wird und Boudier nicht mehr aufzufinden ist, begibt sich Kieffer auf Spurensuche, um zu erfahren, welche Zutat er mit seinem unbedeutendem Restaurant im Menue dieser Ereignisse ist.

Der Prolog – als amuse- gueule dieses „kulinarischen Krimis“ gereicht – berichtet von der Expedition eines [Karpologen](http://de.wikipedia.org/wiki/Karpologie), der als Foodscout in Papua-Neuguinea auf der Suche nach einer Frucht ist, die bei Genuss einen „Wow“-Effekt auslösen kann, der Knaller für die Gourmet-Küche aber auch für die Lebensmittelindustrie.

Während Kieffer seine Nase immer tiefer in die Angelegenheiten diverser Interessenten, die auf der Jagd nach der Frucht, deren optimalem Nutzen und den Möglichkeiten der Zubereitung steckt, fallen dem luxemburgischen Koch zufällig zwei Tupperdosen in die Hände, bei deren Inhalt – so ergeben es aufwändige  Recherchen – es sich tatsächlich um  Teile dieser Wunderfrucht Chatwa handelt. Doch die Wunderfrucht erweist sich als Teufelsfrucht. Häscher des zunächst großen Unbekannten sind auf der Suche nach ihr und die Hatz wird auf alle ausgedehnt, die im Besitz von Chatwas sein können, so auch auf Kieffer.
Wie unterschiedlich die Interessen der potenzielle Nutznießer der neu entdeckten Frucht sein können erscheint zunächst unvorstellbar. Und welche Möglichkeiten sich dadurch auftun, wird im Laufe des Krimis jedoch immer plausibler.

Tom Hillenbrand hat mit diesem – wie er im Untertitel bezeichnet wird – kulinarischen Krimi eine Marke in einem recht alten, wieder neu aufgenommenen Genres des Kriminalromans gesetzt. Seit langer Zeit habe ich als bekennender Krimifreund wieder etwas Neues gelesen. Hierbei spielen nicht Verbrechen und deren Aufklärung die große Rolle, sondern einerseits die Jagd der Sterneköche nach exklusiven Zutaten als auch der Lebensmittelindustrie nach immer neuen Knüllern für Design- Trend- und Health-Food. Andererseits beschreibt Hillenbrand die Arbeitsweise und Macken der Sterneköche-Welt kenntnisreich und in angenehm ironisierender Art. Außerdem bekommt noch die Lebensmittelindustrie ihr Fett ab, die in diesem Fall die Entwicklungen von Analogkäse, Formfleisch und naturidentischen Aromastoffen aus Sägespänen toppen möchte. Provinzielles Luxemburgerisches – sprachlich letzeburgerisch authentisiert – und die große Welt des EU-Apparates als Gegensatz dazu ergänzen die Geschichte und erscheinen wie das Salz in der Suppe als notwendiges Ingredienz, das zum Gelingen der Zubereitung unerlässlich ist.
Dass die Lebensmittelindustrie in diesem Krimi in recht schlechtem Licht dargestellt wird, mag wohl mit der großen Affinität des Hobbykochs und Autors zur Gourmetküche zusammenhängen. Abgesehen davon ist diese Buch eines der interessantesten und unblutigsten Krimis, die ich in letzter Zeit gelesen habe, trotzdem mit einem hohen Anteil von Spannung und äußerst kurzweilig für jeden, der sich gern in der Welt der Küche und der Köche aufhält, sei es als Maître der eigenen Küche oder als Genießer köstlicher Speisen.

Philipp Elph