Wenn das Element des Fantastischen fehlt, dann kommt Glukhovsky irgendwie nicht in Schwung

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"Der eine besudelt Fahrstühle, der andere zertrümmert Haltestellen. Es war klar, warum. Nur so kann man dem Staat direkt antworten und sich für sein verpfuschtes Leben rächen."


Sieben lange Jahre saß Ilja wegen Drogenbesitzes im sibirischen Straflager ein - völlig zu Unrecht, denn das Zeug wurde ihm von einem rachsüchtigen Drogenpolizisten zugesteckt. Als Ilja nun endlich aus der Haft entlassen wird, will er eigentlich nur in sein altes Leben zurück. Doch im Rausch der Verzweiflung begeht er eine folgenschwere Tat. Das Handy des toten Polizisten behält er, und als er beginnt, auf die Nachrichten zu antworten, verschmilzt seine Identität immer mehr mit der des Getöteten.

Erstmals hat sich Dmitry Glukhovsky mit "Text" an die Belletristik herangewagt. Seine "Metro"-Reihe ist schon ein Klassiker, besonders das erste Buch ist ein Geniestreich. Das will ihm nun allerdings in der "realen", also fantasyfreien Literatur nicht so recht gelingen. Gewohnt düster kommt das Buch daher, mit gebeugten und vom Leben gebeutelten Charakteren. Rund um Ilja und Petja, den getöteten Polizisten, versucht Glukhovsky, menschliches Drama, Russlandkritik von innen sowie Thrillerelemente zu vereinen. Heraus kommt dabei eine nicht besonders schmackhafte Suppe.

Im Grunde verläuft die Geschichte handlungsarm, nur wenige spannende Momente bietet das Buch. Man könnte das vielleicht als "Roman in Gedanken" bezeichnen. Das ist nicht notwendigerweise schlecht, denn die Nähe zum verfolgten, eingekesselten und verzweifelten Protagonisten Ilja hat durchaus ihren Reiz. Leider liest sich das Ganze eher mit halbgesenkten Augenlidern als mit klopfendem Herzen, und erzeigt eher Klaustrophobie anstatt Mitgefühl. An keiner Stelle schafft es Glukhovsky meiner Meinung nach, Emotionen zu transportieren. Durch hochtrabende Formulierungen scheint er eben das zu versuchen, erreicht hat mich das aber nicht. Ilja, Petja, sie alle bleiben mir fern mit ihrem Leid, sie alle sind mir sogar ein wenig zuwider.

Ja, in diesem Buch gibt es kein Gut und Böse. Im Grunde sind sie nämlich alle Verbrecher, egal, mit welchem Hintergrund. Gelungen ist Glukhovsky dabei die Kritik am Staat und am korrputen System, die es einem zu Unrecht Verurteilten unmöglich machen, Revision einzulegen. Sobald dich ein Drogenpolizist "überführt" hat, steht deine Strafe fest. Die Justiz scheint keine eigenständige Instanz zu sein, oder jedenfalls ist sie voreingenommen. Dieses kritische Kommentieren der politischen Situation in Russland zeigt sich bei Glukhovsky insbesondere im Leben der normalen Menschen. Irgendwie scheint jeder unglücklich - was nach meiner eigenen Erfahrung gar nicht so abwegig ist.

Die Geschichte selbst ist manchmal sehr wirr und verschwurbelt. Dabei bin ich den Eindruck nicht losgeworden, dass das an einer mangelhaften Übersetzung liegen könnte. Manche Sätze habe ich mehrfach gelesen, ohne ihnen eine Sinn abgewinnen zu können. Das hat mich zunehmend frustriert. Ilja-Petjas Leben am Handy mitzuverfolgen war eine Heidendenkarbeit, doch schriftstellerisch war das gar nicht schlecht gemacht. Eine i nteressante Form des Spannungsaufbaus war es allemal. Dennoch, richtig in Fahrt kommt das Ganze nie.

Als besonders störend habe ich das Frauen- und Ausländerbild in diesem Buch empfunden. Ständig ist von Weibern, Weibergeschwätz, Schlitzaugen oder Tadschiken die Rede, über Frauen wird verfügt und gespottet. Inwieweit das den Charakteren und inwieweit dem Autor zuzuordnen ist, kann ich nicht beurteilen. Allerdings ist mir das auch schon in "Metro" aufgefallen: Glaubwürdige Frauencharaktere kann Glukhovsky einfach nicht . Sehr auffällig ist in dieser Hinsicht, wie sehr der "spannende", thrillerartige Handlungsverlauf an die Männer der Geschichte gebunden ist. Die Frauen in prominenter Position - Nina und Petjas Mutter Swetlana - waren mehr für das Gesülze zuständig: Schwangerschaft, Vertrag-dich-bitte-mit-deinem-Vater, Juhu-wir-heiraten; Nina taugte außerdem gut als Nacktfoto-Lieferantin. Eine so platte, undifferenzierte, irgendwie sehr russische Charakterverteilung kann ich nicht gut finden. Und wenn dann auch noch Petja bemitleidet wird, weil er in eine Beziehung mit der tyrannischen Xenia gezwungen wurde, dabei aber völlig ignoriert wird, dass er sie in die Kokainabhängigkeit getrieben hat, dann hört es bei mir auf.

Sehr träge bewegt sich "Text" durch ein morastiges Moskau, begleitet von leblosen, düsteren Figuren, die wunderbar in das russische Klischee von Mann und Frau passen. Immerhin ist Glukhovsky seine politische Kritik gelungen, und auch die digital entfaltete Geschichte ist mal was Neues. Insgesamt für mich aber kein gewinnbringendes Buch. Schade!