Ende und Anfang

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hurmelchen Avatar

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Evie Boyd, die 14- jährige Hauptfigur in Emma Clines fulminanten Debüt - Roman "The Girls", ist ein typischer Teenager der weißen Oberschicht in den USA der späten 1960er Jahre - der Hippiezeit.
Evies Eltern leben in Scheidung, und sind beide zu sehr mit sich beschäftigt, als dass sie ihre Tochter mit deren Pubertätsängsten noch groß beachten. Von ihrer Freundin Connie fühlt Evie sich auch nicht mehr verstanden.
Auf der Suche nach Halt und Inhalten begegnen ihr eines Tages ein paar junge Frauen, die anders, als alle anderen sind. Frei, unangepasst, ungekämmt, betörend.
"Die Sonne stach durch die Bäume wie immer - verschlafene Weiden, der über die Picknickdecken fahrende, heiße Wind -, aber die Vertrautheit des Tages wurde gestört von der Bahn, die die Mädchen durch die normale Welt zogen. Geschmeidig und gedankenlos wie durch das Wasser gleitende Haie."
Magisch angezogen, vor allem durch die Anführerin Suzanne, folgt Evie den Girls auf eine chaotisch- schmuddelige Ranch in den Hügeln, fernab jeglicher Zivilisation.
Dort leben die Mädchen in einer Hippie - Kommune, deren Oberhaupt der charismatische Möchtegern - Musiker Russell ist.
Emma Cline beschreibt die Nöte und Sehnsüchte des Mädchens Evie in hypnotischen Bildern und mit einem tiefen Verständnis für die Gefühlswelt ihrer Protagonistin.
Dabei bedient sie sich einer Sprache - und hier sei auch ausdrücklich der Übersetzer Nikolaus Stingl gelobt - die einen wie ein Sog in Evies Gedanken mitnimmt.
Cline erzählt Evies Geschichte auf zwei Zeitebenen. Evie 1969 als Teenager und Jahrzehnete später als reife Frau, die immer wieder von der Vergangenheit eingeholt wird.
1969 gerät Evie immer tiefer in die Fänge der seltsamen Kommune.
Charles Manson und seine "Family" standen hierfür Pate.
Der zähe, heiße, lange Sommer '69 fließt unaufhaltsam auf einen furchtbaren Höhepunkt zu. Die "Girls", durch Drogen und falsche Erwartungen von Russell gefügig gemacht, Schrecken auch vor Mord nicht zurück.
Evie wird für immer gezeichnet sein. Wie schmal der Grat ist, auf dem wir alle wandern, und ob sich die Waage zum Guten oder zum Bösen bewegt, das erzählt Emma Cline meisterhaft.
Die Gier nach Anerkennung, läßt einige Menschen den falschen Weg einschlagen.
Bis heute hallen die Taten Charles Mansons und seiner Anhänger in den USA nach.
Das Emma Cline nicht Manson und Susan Atkins ( Russell und Suzanne ) in den Fokus dieser fiktionalen Aufarbeitung rückt, ist ihr hoch anzurechnen.
Durch Evie Boyds Augen kann der Leser diese bizarre Welt zu verstehen versuchen.
Die Manson - Morde bedeuteten das Ende der Flower - Power - Hippie - Ära, "The Girls" bedeutet den Anfang einer großen Schriftstellerkarriere.