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simone1711 Avatar

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Auf das Buch war ich wirklich sehr gespannt. Schon das Cover ist ein Hingucker, wobei ich nach dem Lesen finde, dass es nicht so wirklich zum Buch passt. Zu ätherisch, zu unschuldig für eine Geschichte, die von solchen Abgründen handelt.

Evie Boyd ist 14 Jahre alt und ein ganz normales, unsicheres Mädchen (wobei mich ihr Drogenkonsum überrascht hat - aber vielleicht war das damals üblich). Im Herbst soll sie aufs Internat, aber vor ihr liegt der heiße, kalifornische Sommer. Sie ist ziemlich auf sich gestellt, denn ihre Eltern sind geschieden. Ihr Vater ist mit seiner Freundin weggezogen, ihre Mutter ist mit ihrem Aussehen, Esoterik und der Männersuche beschäftigt. Evie merkt trotz oder gerade wegen ihrer Jugend, dass ihre Mutter nur ausgenutzt wird. Mit ihrer besten und einzigen Freundin gibt es auch Spannungen, und die Jungs die sie gut findet, haben wenig für sie übrig.

Eines Tages sieht sie im Park die "Girls" - ungezähmte Mädchen mit wilder und gefährlicher Ausstrahlung. Von einer ist sie sofort fasziniert. Als sich die Gelegenheit ergibt ihr einen Gefallen zu tun, nutzt Evie dies und lernt Suzanne so näher kennen. Nach einem heftigen Streit mit ihrer Mutter wird sie von dem schwarzen Schulbus aufgesammelt, in dem Suzanne und die anderen Mädchen unterwegs sind, und mit auf die Ranch genommen - zu Russell.

Als Alibi ihre Freundin benutzend, verbringt Evie immer mehr Zeit auf der Ranch. Die Freiheit, Freizügigkeit, Zusammengehörigkeit, das Fehlen von mein und dein - all das weckt in Evie den Wunsch, dazu zu gehören. Die erste sexuelle Erfahrung mit Russell stößt sie zwar ab, macht sie jedoch auch stolz. Und nicht zuletzt führt ihre Hingezogenheit zu Suzanne dazu, dass sie sich immer tiefer in dieser Welt verliert. Von ihr fühlt sie sich beachtet und wahrgenommen. Russells wohltuende Worte tun ein übriges. Selbst verstörende Dinge wie Gewalt, Verwahrlosung, Dreck, furchtbares Essen halten sie nicht fern. Sie lässt sich sogar mit einem älteren, für sie abstoßenden Mann ein, weil Russell sich davon Hilfe bei seiner geplanten Musikarriere verspricht.

Suzanne zuliebe bestiehlt sie andere, bricht alle möglichen Regeln. Als ihre Mutter sie zu ihrem Vater schickt, genießt sie den Aufenthalt zwar, sehnt sich aber nach Suzanne und haut wieder ab auf die Ranch. Dort tun sich erste Risse auf. Der Guru Russell, dem alle blind folgen ist kein begnadeter Musiker. Kinder geraten in Lebensgefahr. Suzanne lässt sie links liegen. Doch Evie will glauben, um nicht den Halt zu verlieren. Als Suzanne und ein paar andere Ranchbewohner einen speziellen Auftrag bekommen, will Evie mit...

Wer die Geschichte der Manson-Family kennt, wird Parallelen entdecken. Tatsächlich sogar sehr viele. Das fand ich ehrlich gesagt unangemessen. Doch da das Buch sich nicht der Aufklärung der damaligen Ereignisse widmet, sondern nur erzählt wie ein junges Mädchen in diesen Bann gezogen wird, möchte ich das nicht weiter bewerten. Über Suzanne und ihren Antrieb erfährt man wenig - warum sie Evie vor der schicksalhafte Nacht wegstößt, ob sie nur genervt ist oder sie doch schützen wollte. Warum sie Russell so ergeben folgt, ob sie das Böse einfach in sich trug.

Man lernt Evie auch als traumatisierte Erwachsene kennen, die sich und ihren Anteil verstehen will. Wie sie gehandelt hätte, wäre sie dabei gewesen. Die Suzanne, im Grunde ihre erste große Liebe, trotz allem vermisst. Für ein junges Mädchen namens Sasha entwickelt sie einen gewissen Beschützerinstinkt, muss jedoch feststellen, dass sie niemanden schützen kann.

Von Schreibstil und Sprache her fand ich das Buch sehr gut. Die Grausamkeiten kommen aus dem Nichts, inmitten einer beiläufigen Erzählung. Doch es bleibt eine Erzählung, die nichts erklärt und keine Fragen beantwortet. Es ist die Sichtweise einer gleichermaßen Beteiligten und Unbeteiligten, die nicht mal weiss was sie selber getan hätte.

Dass das Buch bei der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels hilft bezweifle ich irgendwie. Trotzdem hat es mich beeindruckt und man denkt noch eine Weile darüber nach.