Hmm - "Fesselnder Psychothriller"? Äh - nein!

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ismaela Avatar

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Ich habe nicht das Buch gelesen, sondern das Hörbuch dazu bekommen. Die Lesung auf zwei mp3-CDs ist eine ungekürzte, deshalb habe ich nichts verpasst. Das schreibe ich deshalb, weil diese Geschichte als "fesselnder Psychothriller" angepriesen wird, und das ist sie sicherlich nicht.

Zwei Mädchen - Lois und Carly May - werden im Alter von 12 Jahren von einem Mann entführt, der sie 6 Wochen lang in einer Waldhütte unterbringt (zu dieser Wortwahl schreibe ich später noch etwas) und sich mit ihnen beschäftigt, ohne ihnen jemals zu nahe zu kommen. Nach ihrer Befreiung sind die beiden Mädchen mehr oder weniger Aussenseiter, weil ihnen durch diese Entführung und glückliche Rückkehr eine Art Makel anhaftet. Sie leben ihr Leben; Lois lehrt an einem kleinen College englische Literatur, Carly May schlägt sich mehr schlecht als Recht als Schauspielerin und Werbegirl durch. Lois hat unter einem Pseudonym aus ihrer Entführung einen Psychothriller geschrieben, der, recht erfolgreich, verfilmt werden soll. Wie es der Zufall will, bekommt Carly May das Angebot, in diesem Film die Ermittlerin zu spielen. Nach fast 20 Jahren treffen Lois und Carly May wieder aufeinander, nachdem sie sich vorher aus den Augen verloren hatten. Am Set des Films wollen sie ihre Vergangenheit endlich aufarbeiten.

Wo soll ich beginnen?

Zunächst ist diese Geschichte alles andere als ein Psychothriller. Lois und Carly May erzählen im ersten Teil des Buches abwechselnd von ihrem Leben, wobei sich fast die komplette erste Hälfte der gesamten Geschichte ausschließlich um das Erwachsenenleben der beiden Protagonistinnen dreht. Ab und an blitzt die Vergangenheit auf und man erfährt ein bisschen was über die Entführung und die Zeit danach. Erst in einem weiteren Teil des Buches werden einige Kapitel von Lois' Buch vorgelesen, in denen es um die Zeit der Entführung geht, was vorgefallen ist, wie die Mädchen und der Entführer, den sie Z nennen sollen, miteinander umgegangen sind. Man erfährt, dass die Mädchen die Zeit in der Hütte als Abenteuer empfunden haben, dass sie ihren Entführer in ihr Herz schlossen und überhaupt nicht auf die Idee kamen, an Flucht zu denken. (Deshalb habe ich auch geschrieben, dass sie in der Hütte untergebracht und nicht festgehalten worden waren.) Im letzten Teil der Geschichte geht es um die Zeit am Drehort, kurz bevor die Arbeiten beginnen. Lois und Carly May treffen sich und sprechen miteinander über ihre gemeinsam erlebte Geschichte.

Zu keiner Zeit ist die Geschichte nervenaufreibend. Sie ist nicht uninteressant, sie ist auch teilweise spannend, aber sämtliche Dramen tauchen auf wie Korken an den Wasseroberfläche, die da sind, und dann plötzlich wieder weg. Angefangen bei diesem seltsamen Entführungsfall, den die Mädchen als Abenteuer erleben, als "endlich passiert mal was". Es erscheint mir total abwegig, dass ein 12-jähriges Kind sowas empfindet, keinerlei Angst zeigt, nicht einmal Scheu, sich komplett auf den Entführer einlässt, ihn sogar in einer Art seltsamen Fall von Stockholm-Syndrom ins Herz schließt und niemals an Flucht denkt, obwohl sie dazu mehr als einmal Gelegenheit dazu gehabt hätten. Auch werden die Gründe der Entführung nie ganz geklärt, oder wie es der Entführer schaffte, diese beide Mädchen so gründlich aus zu spionieren (sie wohnen in verschiedenen Bundesstaaten), damit er sie abpassen und mitnehmen kann, und vor allem: WARUM er es tut. Was sind seine Beweggründe? Genauso nebulös verläuft die Rettung der Mädchen. Man erfährt, dass der Entführer vermutlich von der Polizei erschossen wurde, aber wie konnte diese die Mädchen finden? Woher kam dieser Ermittlungserfolg? Letztendlich erfährt der Leser niemals, was in der Erzählung über die Entführung und dem Leben in der Hütte wahr ist und was nicht. Denn Lois hat ihr Buch nicht 100%ig an der Realität spielen lassen, und was von ihrer Beschreibung nun wahr ist und was nicht, wird nie aufgelöst.
Auch die Probleme, die Lois hat (ein Stalker macht ihr das Leben schwer) wird so belanglos erzählt, dass es kaum der Rede wert ist. Der Schluss, der nochmal Spannung erzeugen sollte, ist ebenfalls zu vernachlässigen. Die ganze Geschichte ist nichts Halbes und nichts Ganzes, oft wirkt es so, als hätte die Autorin Angst vor der eigenen Geschichte gehabt, sie hat sich nicht getraut, auch einmal auf die Pauke zu hauen. Das ist schade, denn die Geschichte hätte das hergegeben. Ansonsten ist sie nicht schlecht geschrieben und auch die beiden Sprecherinnen machen ihre Sache gut. Ab und an liest Christiane Marx (Lois) ein bisschen überbetont, aber das gibt sich mit der Zeit.

Alles in allem eine belanglose Geschichte, bei der enormes Potential verschwendet wurde. Schade.