Niemand kann seiner Vergangenheit entfliehen …

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webervogel Avatar

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„TICK TACK“ ist ein sich langsam entwickelnder Thriller. Er ist unblutig und kommt ohne Gänsehaut-Momente aus, in denen man ernsthaft um das Leben der Hauptfiguren fürchtet. Und trotzdem konnte ich ihn nicht mehr beiseitelegen und habe mich immer tiefer in die Geschehnisse um Hauptfigur Nic hineinziehen lassen.
Nic ist Ende 20, mit einem erfolgreichen Anwalt verlobt und lebt in Philadelphia – weit weg von ihrer Heimatstadt Cooley Ridge in North Carolina, aus der sie zehn Jahre zuvor regelrecht geflüchtet ist. Damals verschwand ihre beste Freundin Corinne spurlos und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Zwar ist das Leben in Cooley Ridge weitergegangen, doch nun kommt alles wieder hoch – denn plötzlich wird eine weitere junge Frau vermisst. Und Nic ist erneut in der Stadt: Ihr Bruder und sie wollen ihr Elternhaus auflösen, nachdem der Vater inzwischen dement in einem Pflegeheim lebt. Die Vergangenheit holt Nic, ihre Familie und ihre früheren Freunde ein – und droht, Geheimnisse ans Licht zu bringen, die zehn Jahre lang verborgen geblieben waren …

Megan Miranda verwendet eine interessante Erzähltechnik: Sie berichtet von Nics Ankunft in Cooley Ridge, dann von den Geschehnissen zwei Wochen später. Von da erzählt sie dann Tag für Tag rückwärts, bis diese zweiwöchige Lücke für den Leser gefüllt ist. Das ist erstmal gewöhnungsbedürftig – die Handlung entwickelt sich quasi nicht weiter, sondern setzt sich eher puzzleartig zusammen. Nach jedem Tag kommt der Morgen des Vortags, der meist an einer ganz anderen Stelle ansetzt. Und so vergrößert sich zwar der Gesamtüberblick des Lesers nach und nach, er kann sich jedoch nie sicher über die Vorgeschichte sein – und muss sein Bild wieder und wieder revidieren … zum Teil ist das mühsam. Aber es lohnt sich auch. In jedem Fall fesselt „TICK TACK“ und hat mich laufend überrascht. Der Kreis der Hauptfiguren ist klein, trotzdem tappte ich bis zum Schluss im Dunkeln, wie was zusammenhing. Und fand die Auflösung dann durchaus befriedigend, obwohl ich mir zwischenzeitlich einfach nicht vorstellen konnte, wie alles zusammenpassen sollte. Genau das macht einen guten Thriller für mich aus – dass er am Ende glaubwürdig ist, auch wenn man sich während des Lesens einfach kein glaubwürdiges Ende vorstellen konnte.

So gesehen passt „TICK TACK“ zu „Girl on the Train” oder “Gone Girl” – die Geschichte entrollt sich nach und nach, leise, unvorhersehbar und überraschend. Die Ereignisse überschlagen sich nur selten, sondern entwickeln sich langsam. Autorin Miranda nimmt sich Zeit, dem Leser Cooley Ridge näherzubringen – die Kleinstadtatmosphäre, die umliegenden Wälder. Man taucht mit Nic in ihr altes Leben ein und muss die Bereitschaft mitbringen, sich darauf einzulassen – ich finde, es lohnt sich. Leseempfehlung für alle, die romanartige, aber nicht minder intensive Psychothriller mögen!