Schockierend, tiefgründig, intensiv - der beste Thriller des Jahres!

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lovely_lila Avatar

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* Spoilerfreie Rezension! *

~ „Tick Tack“ ist ein großartiger, intensiver und überraschend tiefgründiger Thriller, der mit liebevollst ausgearbeiteten Personen, mit einem angenehmen Schreibstil, mit einer unheimlichen Atmosphäre und unerwarteten Wendungen glänzt. Mich hat schon lange kein Thriller mehr so schockiert, begeistert, überrascht und schlicht aus den Socken gehauen. Auch danach hat mich die Geschichte noch lange nicht losgelassen. ~

Inhalt

Nic hat sich in ihrem neuen Leben weit weg von ihrer Heimat Cooley Ridge gut eingerichtet. Sie ist verlobt und plant eine gemeinsame Zukunft mit dem freundlichen und erfolgreichen Anwalt Everett. Doch eines Tages erhält sie einen mysteriösen Brief: „Dieses Mädchen. Ich habe es gesehen.“ Corinne, Nicolettes beste Freundin in Jugendtagen, ist vor 10 Jahren spurlos verschwunden. Ist es wirklich möglich, dass ihr Vater, der unter Demenz leidet, sie im Ort gesehen hat? Nicolette macht sich auf den Weg in ihre Heimatstadt. Als erneut ein Mädchen verschwindet, rückt auch das Verschwinden von Corinne wieder in den Fokus. Cooley Ridge ist eine Stadt, die von Wäldern umgeben ist und voller Geheimnisse und Lügen steckt – nun tauchen sie langsam wieder aus den Tiefen der Vergangenheit auf und treiben an die Oberfläche…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: mittel, jeder Tag bildet ein Kapitel
Tiere im Buch: ++ Es werden im Buch keine Tiere gequält, aber ein verletzter Vogel wird getötet.

Warum dieses Buch?

Der Klappentext hat mich sofort neugierig gemacht, ebenso wie das düstere Cover. Als ich gesehen habe, dass die Meinungen sehr auseinander gingen, wollte ich mir selbst ein Bild machen. Dadurch waren meine Erwartungen überhaupt nicht hoch – und so kam es, dass ich von dieser Geschichte vollkommen „geflasht“ wurde.

Zitate

„‘Wenn ich ein Monster wäre,‘ hatte uns Corinne auf der Veranda erklärt, wo die Laterne schaukelte und die Schatten tanzten, würde ich so tun als wäre ich ein Mensch.‘“ Seite 229

„Ich musste mich konzentrieren, das Haus herrichten und wieder von hier verschwinden. Bevor die Vergangenheit aus den Wänden kroch, aus den Kaminen flüsterte. Bevor sie sich selbst aus diesem Karton befreite, Stück für Stück, bis wir wieder ganz am Anfang standen.“ Seite 46

„Dieser Wald barg Geheimnisse, die Vergangenheit lebte wieder auf und holte uns ein, eine nicht mehr aufzuhaltende Reihe Dominosteine, die bereits angestoßen worden war.“ Seite 126

Meine Meinung

Einstieg (-)

Macht euch auf eine begeisterte, schwärmerische Rezension gefasst, wie ihr sie schon lange nicht mehr von mir gelesen habt. Dennoch beginne ich hier mit meinem einzigen Kritikpunkt: dem Einstieg. Er war trotz des einfachen Schreibstiles sehr zäh und die Geschichte kam nur langsam für mich ins Rollen. Durchhalten lohnt sich!

Schreibstil (+)

Ein flüssiger angenehmer Schreibstil, der sowohl ruhig, als auch dramatisch, aufregend, spannend, tragisch und emotional sein kann, führt die LeserInnen durch die Geschichte. Ich fühlte mich dadurch im Buch sehr gut aufgehoben, konnte der Geschichte trotz der ungewöhnlichen Erzählweise gut folgen und war auch emotional stark involviert.

Erzählweise (+)

Megan Miranda wählt für dieses Buch eine ganz und gar ungewöhnliche Erzählweise, die unerwartet gut funktioniert: Angefangen bei Tag 14 wird Nics Besuch in ihrer Heimatstadt rückwärts erzählt. Auch wenn das Rückwärtserzählen seine Tücken birgt und auch wenn es beim Lesen schon herausfordernd sein kann, die Vorkommnisse nachfolgend in eine chronologische Reihenfolge zu bringen, so bietet die Autorin hier ein einzigartiges Leseerlebnis. Nach und nach offenbaren sich Verbindungen und Abhängigkeiten, immer schockierender werden die Enthüllungen. Besonders gelungen finde ich auch, dass das Konzept der Zeit generell thematisch und philosophisch im Buch im Mittelpunkt steht.

Nebenfiguren (+)

Bis in die Nebenfiguren sind die Personen liebevollst ausgearbeitet. Sie alle haben ihre Stärken und Schwächen, ihre Abgründe, Ängste und dunklen Geheimnisse. Sie sind geheimnisvoll und undurchschaubar, haben teilweise eine berührende und erschütternde Vergangenheit, die noch immer stark ihre Gegenwart beeinflusst. Immer schwerer wird es, herauszufinden, wem von ihnen man trauen kann. Wer lügt? Wer verbirgt etwas, um selbst besser dazustehen? Immer mehr wachsen einem Nics alte Freunde und Weggefährten ans Herz, man beginnt mit ihnen mitzuleiden, mitzuhoffen und wünscht sich, dass sie unschuldig sind. Die Erinnerungen und Rückblenden in die Vergangenheit zeigen, wie eng die Freunde schon seit ihren Teenagertagen verbunden sind. Toll gemacht!

Hauptfigur (+)

Nic ist eine sympathische Hauptfigur, die ich sehr gerne begleitet habe. Am Beginn will sie noch glauben, dass ihre Verbindungen in ihre alte Stadt gekappt sind, dass sie mit all dem nichts mehr zu tun hat – nach und nach wird aber klar, dass sie sich nie richtig von ihrer Heimat und den Menschen dort befreien konnte. Schnell fällt sie wieder in alte Muster. Und: Wie die anderen hat auch Nic Geheimnisse, wie die anderen ist auch sie eine Lügnerin. Immer wieder lässt sie die LeserInnen an ihren Erinnerungen an ihre enge Freundschaft mit Corinne teilhaben, immer mehr Details davon werden offenbart. Die Geschichte zeichnet sich auch durch eine enorme Tiefgründigkeit bei den Emotionen aus. Wut, Angst, Schuldgefühle, Trauer, Schock – das alles erreicht einen als Leserin mit ungeahnter Intensität.

Atmosphäre (+)

Ohne Frage lebt dieses Buch auch stark von seinem Setting. Nics kleines Haus ist von den anderen relativ abgeschieden, umgeben von einem dunklen, fast undurchdringlichen Wald, in dem man sich leicht verirren kann. Diese Dunkelheit, diese Ungewissheit, die Möglichkeit, dass in diesem Wald Gefahren und „Monster“ lauern könnten (der Kindheitsaberglaube lässt Nic und ihre Freunde nie wirklich los) schaffen eine unheimliche Grundstimmung, in die man als Leserin sofort hineingezogen wird. Die Lügen und Geheimnisse von damals lasten heute noch schwer auf den Schultern der ehemaligen besten Freunde von Corinne, dem Mädchen, das vor 10 Jahren verschwunden ist.

Geheimnisse über Geheimnisse - Spannung (+)

„Tick Tack“ ist ein Buch voller Geheimnisse, die es zu ergründen gilt. Das ist auch der Grund für den gelungenen Spannungsaufbau. Auch wenn das Buch am Beginn eher ruhig ist, so zieht die Spannung immer mehr an. Am Ende ist sie fast nicht mehr zu ertragen, zuvor rätselhafte Aussagen und Vorkommnisse fallen wie Puzzleteile an den richtigen Platz und ergeben plötzlich einen Sinn. In der genau richtigen Menge enthüllt die Autorin Geheimnisse und entlarvt Lügen, so dass es immer wieder zu vollkommen unerwarteten Wendungen kommt, die mich absolut begeistern und schockieren konnten. Man steckt irgendwann selbst so tief drin in dieser Geschichte um Cooley Ridge, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann und stattdessen immer schneller weiterblättert. Und plötzlich wird das Buch zum Pageturner.

Idee & Themen (+)

Es sind ernste Themen, die den Thriller dominieren und ihm eine unerwartete Tiefgründigkeit geben. Es geht unter anderem darum, wie wenig wir die Vergangenheit abschütteln können, wie sehr sie uns doch unser Leben lang begleitet. Es geht darum, wie das Verschwinden einer Person eine ganze Freundesgruppe zerstören kann, um Demenz, um Verantwortung. Darum, dass man niemanden wirklich kennen kann, weil jeder Geheimnisse hat, Seiten, die er vor anderen versteckt. Ist es verwerflich, wenn man lügt, um eine andere Person zu schützen? Gerade die letzte Frage steht im Zentrum des Thrillers. Die Geschichte zeigt uns Lügen und ihre langjährigen Folgen.

Victimblaming auf Seite 309 (-)

Einen Kritikpunkt muss ich leider noch anmerken. Auf Seite 309 findet sich eindeutiges Victimblaming, also eine Schuldumkehr bei gewalttätigem Verhalten:

„So passiert es – in Momenten der Leidenschaft verlieren Männer die Fassung. Wir treiben sie dazu. Sie können nichts dafür.“
Seite 309


Einige Seiten vorher wird noch beschrieben, wie Männer im Zuge ihrer Wut oder überschäumenden Gefühle Frauen töten, zum Beispiel, indem sie „ihre Hände um ihre schlanken Hälse legen“ (und zudrücken). Solche gefährlichen und irgendwie romantisierenden Sätze möchte ich daher nicht unkommentiert lassen: Nein, wenn Männer ihre Fassung verlieren (das Gleiche gilt natürlich für Frauen) und jemanden verletzen oder angreifen, ist niemals das Opfer schuld, auch nicht, wenn sich der Täter dadurch provoziert fühlte. Hier gibt es nichts zu rechtfertigen. Besonders traurig wird es, wenn man hierzu die Zahlen kennt, denn noch immer sterben vor allem Frauen durch die Hand ihrer (Ex-)Partner. Ja, noch heute:

„Vor allem Frauen erleben in Deutschland häusliche Gewalt. Laut BKA starben im vergangenen Jahr 149 Frauen durch den Partner oder den Ex-Partner. Insgesamt waren 133.000 Erwachsene Opfer von Gewalt in Partnerschaften - die Zahl steigt seit Jahren.“ 82 % der Opfer sind Frauen. (Quelle: Tagesschau-Artikel über die BKA-Statistik für 2016: https://www.tagesschau.de/inland/gewalt-113.html).

Also nochmal: Solche Aussagen sind falsch und gefährlich. Ein absolutes No-Go!

Mein Fazit

„Tick Tack“ ist ein großartiger, intensiver und überraschend tiefgründiger Thriller, der mit liebevollst ausgearbeiteten Personen, mit einem angenehmen Schreibstil, mit einer unheimlichen Atmosphäre und unerwarteten Wendungen glänzt. Mich hat schon lange kein Thriller mehr so schockiert, begeistert, überrascht und schlicht aus den Socken gehauen. Auch danach hat mich die Geschichte noch lange nicht losgelassen.

Empfehlung: Uneingeschränkte Leseempfehlung!


Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Ausführung: 5 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Personen: 5 Sterne ♥
Hauptperson: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Unerwartet tiefgründig!

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥

Wow, was für ein Leseerlebnis! Dieses Buch enthält von mir 5 Sterne und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus!