Nichts Halbes und nichts Ganzes

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singstar72 Avatar

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Schon nach der Lektüre der Leseprobe war mein Eindruck ein geteilter gewesen. Es war mir einfach nicht klar, was das hier werden sollte. Es hatte Elemente von einem Psychothriller, aufgrund von Erinnerungslücken und Ungereimtheiten im Privatleben der Heldin. Zweitens hätte es aber auch ein typischer „Frauenroman“ werden können, da drei beste Freundinnen sich ständig trafen und Unmengen Sekt in sich hineinschütteten – und dabei über Männer redeten. Drittens war da noch der Erotik-Aspekt. Schon in der relativ kurzen Leseprobe hatten wir zwei recht derbe Sex-Szenen, die auch noch relativ unmotiviert daherkamen...was nichts Gutes verhieß…

Die Grundidee hörte sich dabei noch recht nett an. Emanuela Wolf, angesehene Psychologin aus Wien, hat ein unstetes (erotisches) Privatleben. Halb aus Jux lässt sie sich auf den Coach Bernhard Rett ein, der gerade angesagt ist. Er gibt ihr „erotische Hausaufgaben“, die nach einer Weile mächtig schief zu laufen beginnen...

Nachdem ich nun das ganze Buch gelesen habe, bin ich mir immer noch nicht sicher. Es ist nichts von alledem, was ich zuerst dachte, wirklich. Es ist definitiv kein (!!) Psychothriller. Auch beim wohlwollendsten Lesen nicht. Dafür passiert einfach zu wenig. Das erste Todesopfer taucht erst recht spät auf, und auch die Lösung des „Falles“ geht eher halbherzig vor sich. Es gibt nicht mal einen richtigen Ermittler! Und auch die Erinnerungslücken erweisen sich letzten Endes als völlig belanglos – das kann ich, denke ich, ohne Spoilergefahr hier sagen, da fast alles an diesem Buch halbgar und unwichtig ist.

Ein Erotikroman…? Ähm, eher nicht, nein. Eher eine bessere „Nummernrevue“, im unrühmlichsten Sinne des Wortes. Mir kommt das Buch vor, als sei eine Handlung halbherzig hinzu erfunden worden, nur um die Sexszenen miteinander verbinden zu können. Und die waren leider nicht auf gutem Niveau geschrieben. „Sein Dolch“, „ihre Höhle“, (besonders schlimm) „ihre köstliche Frucht“, „wilder Orkan“… also ehrlich, ich habe mich oft „fremdgeschämt“…! Ausserdem habe ich mich über das Frauenbild aufgeregt, das hier vermittelt wird. Jede Frau will im Grunde halb vergewaltigt werden… und findet das dann toll?? Also wirklich!!

Am ehesten hätte das Buch noch das Zeug dazu gehabt, zum Frauenroman zu werden. Die Treffen der drei besten Freundinnen sind – abgesehen vom wirklich horrenden Alkoholkonsum – recht spaßig beschrieben. Allerdings habe ich das Gefühl, die Autorin hat sich in die Figur der „Alexa“ ein wenig selbst hinein geschrieben – die verfasst nämlich gerade einen Erotikthriller, und lässt sich dafür von Emanuela Notizen über ihre Abenteuer zukommen… man könnte ja nun meinen, genau so sei dieses Buch entstanden…

Mich haben ausserdem verschiedene Dinge an diesem Buch gestört. Erstens, die nicht zu Ende gedachte Charakterisierung der Figuren. Emanuela Wolf soll angesehene Psychologin sein…? Mit 20 Jahren Berufserfahrung? Und soll dann nicht von selbst darauf kommen, dass sie ihren verstorbenen Bruder „gehen lassen muss“?? Oder dass sie versuchen sollte, ihre verschollene Jugendliebe wiederzufinden?? Unglaubwürdig! Ausserdem verhält sie sich sehr oft wie ein wild gewordener Teenager, und nicht wie eine Frau von Mitte 30.

Zweitens, da sind so viele Nebenhandlungen, die stiefmütterlich behandelt werden, die einfach im Sande verlaufen. Emanuela wollte doch eigentlich die fragwürdigen Behandlungsmethoden des Coaches Bernhard Rett entlarven. Doch davon später kein einziges Wort mehr. Oder die merkwürdige Sekretärin Gwendolyn, die Emanuela nacheifert. Wird nicht weiter verfolgt. Oder das seltsame „Farben sehen“ von Emanuela. Sie ordnet jedem Menschen beim ersten Ansehen spontan eine Farbe zu. Interessante Idee. Ist aber für die Handlung von keinerlei weiterer Bedeutung. Und deswegen nervt es nach einer Weile. Oder der geheimnisvolle Ehemann von Alexa. War er nun wirklich in dem Restaurant mit seinen Kumpels? Das wird nie geklärt. Und das hat mich geärgert! Es gibt noch mehr, doch lassen wir das.

Drittens, das hier behandelte Niveau von Psychologie ist oft doch sehr fragwürdig. Emanuela Wolf macht dem Coach Bernhard Rett anfangs einige Vorwürfe. Er sei unprofessionell, und habe sich seine Methoden aus seiner Zeit als Kellner zusammengeklaubt. Tja, da kann ich nur sagen, wer im Glashaus sitzt…! Ich kenne mich selbst ein wenig aus; im Rahmen meiner Berufsausbildung hatte ich mit Psychologie durchaus zu tun. Und ich verfolge das Thema auch weiterhin privat. Und da kann ich nur sagen, was dem Leser hier als Psychologie verkauft wird, stammt aus der untersten Küchenschublade…! Du Tarzan, ich Jane. Ja nee, ist klar!

Viertens, und da bin ich mir nicht ganz sicher – ich habe an mehreren Stellen Grammatikfehler zu entdecken geglaubt, die sich meistens mit der Zeitenfolge und dem Präteritum herumschlugen. Hat das nun damit zu tun, dass das Buch in Österreich verlegt wurde…? Mir ist es jedenfalls öfters sauer aufgestoßen. Meiner Ansicht nach heißt es „ich bin gewesen“ und nicht „ich war gewesen“. Um nur ein Beispiel zu nennen.

Ich hätte das Buch gerne besser bewertet. Doch so wird das mit uns beiden definitiv nichts. Es hatte ein paar recht nette Ansätze. Wie gesagt, das Verhältnis der drei Frauen. Einen gewissen Sinn für Stil, für Farben und Mode hat Emanuela Wolf auch. Und es war recht flüssig zu lesen, das ja. Aber alles andere konnte mich leider nicht überzeugen.