Das muss reichen für eine lange Geschichte

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Elsa ist auf dem Weg zur Eröffnung des Soho-House in der Torstraße 1 in Berlin. Auch Bernhard ist dorthin unterwegs. Die beiden sind dort verabredet um ihren 80-Geburtstag in dem Haus zu feiern in dem vor 80 Jahren dass Leben der beiden miteinander verknüpft wurde. Denn im Jahr 1929 wurde Elsa in diesem Haus, das damals das soeben eröffnete Kaufhaus Jonass war, geboren und der junge Zimmermann Wilhelm, stand ihrer Mutter Vicky damals zur Seite, obwohl auch er in diesem Moment Vater eines Sohnes, Bernhard, wurde. Gemeinsam und doch häufig getrennt durchlebten die beiden Familien die darauffolgenden Jahrzehnte, Hitlers Machtergreifung, Krieg, Nachkriegszeit,Mauerbau, Mauerfall und die folgenden Jahre bis zur Eröffnung des Soho-House. Verbunden fühlten sich dabei Vicky, Wilhelm, Elsa und Bernhard nicht nur miteinander, sondern auch mit dem Haus in der Torstraße 1.

Im ersten Kapitel befindet der Leser sich mit Bernhard und Elsa im Jahr 2009, um von dort aus die Geschichte vom Jahr 1929 bis zu diesem Zeitpunkt erzählt zu bekommen. Der Start 1929 ist sehr lebhaft und bildreich beschrieben. Fast hat man das Gefühl Mitten im Wirrwarr der Eröffnungsfeier des Kredikaufhauses Jonass zu stehen. Dieser Teil wird zunächst aus Vickys Sicht geschildert, Vicky ist die geheime Freundin des Kaufhausbesitzer-Sohnes und erwartet ein Kind von diesem. Im Lauf der Erzählung wechseln jedoch die im Mittelpunkt stehenden Personen und so bekommt der Leser 80-Jahre Deutsche Geschichte und Familiengeschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Dabei gibt es außerdem Zeitsprünge innerhalb der Kapitel und gleichzeitig Situationsbezogende Rückblenden auf Ereignisse, die zum Teil in den "Zeitlücken" stattfanden. So entsteht manchmal der Eindruck, die Geschichte würde im Zeitraffer erzählt, wobei einzelne Zeitabschnitte widerum sehr detaillreich und lebendig geschildert werden. So entsteht ein sehr umfassendes, nicht in allen Teilen sympathisches aber immer nachvollziehbares Bild der einzelnen Charaktere. Wobei jedoch einzelne Charaktere, vorallem die jüngere Generation (Elsas und Bernhards Kinder), etwas farblos bleiben. Viele historische Aspekte sind in diese Familiengeschichte eingewoben und so wird mit Hilfe fiktiver Personen deutsche Geschichte greifbarer. Verstärkend wirkt hierbei außerdem die dem Zeitgeschehen entsprechende Entwicklung des Hauses. Abgesehen vom etwas verwirrenden Aufbau ist das Buch sehr angenehm zu lesen und es gelingt Sybil Volks mit ihrem Schreibstil, im Kopf des Lesers Bilder entstehen zu lassen.  

Obwohl leicht zu lesen, mußte ich mich ersteinmal in Frau Volks Schreibstil einlesen und auch daran gewöhnen, dass es "Mittedrin" ohne genaueren Hinweise Zeitsprünge von Monaten oder auch Jahren gab. Manchmal musste ich deshalb zum Begreifen einen Absatz nocheinmal von vorne beginnen und war manchmal auch nur grob zeitlich orientiert. Eine Jahreszahl hier und da oder ein freundlicher Hinweis auf einen "Zeitsprung" wäre sicherlich hilfreich gewesen, um beim Lesen nicht so leicht aus dem Konzept zu kommen. Dass das Haus in der Torstraße 1 eine wichtige Rolle für die Protagonisten hat ist aufgrund der Ereignisse erklärbar, war aber irgendwie doch nicht immer richtig für mich begreifbar. Außerdem ist mir nicht immer ganz klar gewesen, warum trotz der inneren Verbundenheit, der Kontakt zwischen den beiden Familien nur so "sporadisch" war (nach dem Mauerfall gab es ja z.B. eigentlich keinen Grund für das längere Nicht-Treffen vor der Eröffnung des Soho-House ).Nichtsdesdotrotz hat es mir Spass gemacht, Wilhelm, Vicky,Elsa, Bernhard und die anderen durch ihr Leben zu begleiten und mit ihnen gemeinsam "zu leben und zu leiden" und auch die Geschichte des Hauses hatte ihren Reiz. Während der Klappentext suggeriert, das es hauptsächlich um Elsa und Bernhard geht, sind für mich die Personen der älteren Generation genauso wichtig und mir im Lauf der Geschichte fast noch mehr ans Herz gewachsen. Dieses Buch hat mich, vorallem im letzten Teil, so in das Geschehen "eingesogen", dass ich emotional sehr berührt war (jaja, ich hab sogar einmal geweint). Und auch wenn der Roman ein "rundes" Ende hat und sich der Kreis schließt, war ich doch fast ein wenig traurig, dass das Buch endet.

Dies Buch ist, trotz kleiner Mängel, ein großartiges Lesevergnügen und ich empfehle es gerne den Lesern, die sich für diesen Teil der deutschen Geschichte und für Familiengeschichten interessieren.