Die Vergangenheit ist wie ein Mantel, der einem schwer ...

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... auf den Schultern lastet.

Lars Bergenhem, Kriminalinspektor in Göteborg, findet nachts ein verlassenes Auto auf einer Brücke, von der schon mehrere Menschen in den Tod gesprungen sind. Im Inneren des Fahrzeugs entdeckt Bergenhem ein Projektil und ein Einschussloch. Während er noch über einen im Wasser treibenden Toten nachsinnt, trifft der Ermittler zu seiner Verblüffung Roger Edwards, den Halter des kostspieligen Lexus, quicklebendig an. Sein Auto sei ihm am Abend vorher gestohlen worden, behauptet Edwards, als er kurz Zigaretten holte, den Diebstahl habe er noch nicht angezeigt. Bergenhem gehört zum Ermittler-Team von Kommissar Erik Winter. Winter sorgt sich um seinen Kollegen; denn Bergenhem laboriert an einer alten Verletzung und hat sich in letzter Zeit auffällig von anderen Menschen zurückgezogen. Winter, Vater zweier kleiner Töchter, ist zu stark mit eigenen Problemen beschäftigt, um seine Fürsorgepflicht gegenüber seinem Mitarbeiter konsequent wahrzunehmen. Da Winters Frau Angela ein lukratives Stellenangebot aus dem Ausland erhalten hat, müssen die Winters sich bald entscheiden, ob sie Schweden verlassen wollen und ob der noch nicht 50-jährige Erik dann seinen Beruf aufgeben wird.


In einer weiteren Szene beobachten wir einen Autor, der sich bei der Arbeit gestört fühlt und darüber in Streit mit seinem rücksichtslosen Nachbarn gerät. Als schließlich ein Mord an diesem nervenden Nachbarn geschieht und ein weiteres Auto auftaucht, dessen Besitzer sich nur zögernd meldet, wird es für Winter und seine Kollegen Zeit, nach Verbindungen zwischen den beiden Tatorten, zwei Autos, einer Waffe und lange zurück liegenden Ereignissen zu suchen, über die der Autor Jacob Ademar gerade schreibt. Die Beweislage ist dünn; die Verbindung zu einem ungelösten Fall aus dem Jahr 1975 erscheint zunächst nur als vage Hoffnung. Damals verschwand das Mädchen Beatrice spurlos aus einem Sommerlager auf einer Schäreninsel. Erik Winter war zu dem Zeitpunkt 15 Jahre alt. Winter ist überrascht, dass er sich kaum an den Vorfall erinnern kann, obwohl die Insel auf der anderen Seite des Sunds so nah lag, dass er sie von seinem Elternhaus hätte sehen können.

Erik Winter steht an der Schwelle zum chronischen Erschöpfungssyndrom, das bei Ermittlern in skandinavischen Krimis mittlerweile alltäglich zu sein scheint. Die Anforderungen im Beruf, mangelnde Anerkennung der Arbeit der Polizei in der Öffentlichkeit, wie auch die Kriminalität an sich, türmen sich wie ein Berg vor Winter auf. Mit noch nicht einmal 50 Jahren wirkt Winter noch nicht alt genug, um so desillusioniert und in der schlechten körperlichen Verfassung zu sein, in der er Edwardsons Lesern entgegentritt. Dass Winter sich nur langsam an junge Kollegen gewöhnt und sich zu keiner Entscheidung aufraffen kann, mag eine Alterserscheinung sein, könnte jedoch auch auf eine beginnende Depression oder eine ernste körperliche Erkrankung hinweisen. Anstatt sich in ärztliche Behandlung zu begeben und daran zu arbeiten, dass seine Dienstfähigkeit wieder hergestellt wird, sitzt Winter seine gesundheitlichen Probleme aus und hält sich an einer fadenscheinigen Selbstdiagnose fest. Der dritte im Bunde der depressiven Ermittler ist Kriminalinspektor Frederik Halders, Witwer, Vater von zwei Kindern, der mit einer Kollegin zusammenlebt und unzufrieden darüber ist, dass er noch nicht zum Kommissar befördert wurde. Auch Halders private Probleme belasten die Zusammenarbeit in Winters Team.

Edwardson spannt seine Leser auf die Folter, indem er zunächst nur Andeutungen platziert und einige falsche Fährten auslegt. Dass seine Figuren zu Beginn der Handlung noch namenlos sind, schärft die Aufmerksamkeit des Lesers und lenkt dessen Blick von der ersten Seite an auf jedes Detail der Handlung. Die akribische Darstellung der Einzelheiten, sowie die melancholische Novemberstimmung unter düsterem Winterhimmel haben mich beim Lesen des Buches in ihren Bann gezogen. Verbindungen zwischen dem Herbstwetter draußen und den persönlichen Krisen der Ermittler in der Lebensmitte drängen sich auf. Besonders in Erik Winters Leben schließt sich offenbar ein Kreis. Der Kommissar bewegt sich bei seinen Ermittlungen in seine eigene Vergangenheit, als er sich mit einem Informanten trifft, den er lange kennt, und als er sich mit einem Kollegen austauscht, mit dem er früher gemeinsam Streife ging. Der Titel "Toter Mann" lässt im Deutschen breiten Raum für Assoziationen: Toter Mann ist nicht nur das bewegungslose Treiben eines Schwimmers auf dem Wasser, Erik Winter könnte bald selbst ein toter Mann sein, wenn er weiter Raubbau mit seiner Gesundheit treibt.

Ake Edwardsons stimmungsvoller Krimi "Toter Mann" entwickelt seine Spannung daraus, dass zunächst mögliche Verdächtige namenlos bleiben und man sich beim Lesen die Verbindungen zwischen den Charakteren erst erarbeiten muss. Nach einem weitgehend gemächlichen Erzähltempo überrascht der dramatische Schluss des Buches. Wer stärker an der Innensicht der handelnden Figuren interessiert ist als an spektakulären Taten und rasanten Wendungen, kann mit Edwardsons neuntem Krimi um Erik Winter gemütliche Lesestunden verbringen.