Man kann nicht wegsehen/hören/lesen
Lor wird unerwartet aus ihrem elenden Leben in einem Gefangenenlager gerissen, in ein goldenes Kleid gesteckt und in den Luxus und das Haifischbecken eines Hofes geworfen, der nicht zu ihrem Königreich gehört. Warum sie auserwählt wurde, als Tribut um den Platz an der Seite des Sonnenkönigs zu kämpfen, statt im Gefängnis des Aurorakönigs zu verrotten, weiß sie nicht. Auch nicht, warum der Sonnenkönig sich so sehr für sie, eine Sterbliche, interessiert. Und warum sie niemandem erzählen darf, woher sie wirklich kommt. Nur, dass sie ihr Leben einsetzen muss, um die Herausforderungen zu meistern und sich eine Chance auf die Krone zu sichern.
Ich habe die Hörbuchversion gehört und muss sagen, dass ich die beiden Sprecher gut gewählt finde. Selbst Lors zickige Erwiderungen sind stimmlich gut rübergebracht, die Geschwindigkeit ist angenehm (etwas schneller, als sonst häufig). Der männliche Sprecher hat eine angenehme Stimmfarbe und auch wenn ich es irritierend finde, dass eine Geschichte aus zwei Sichtweisen betrachtet ist, dann aber nur eine davon in der ersten Person geschrieben wurde, wurde das im Hörbuch angenehm umgesetzt.
Die Story an sich ist, womit ich bei diesem Buch ein Problem habe. Und ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass ich inzwischen zu alt oder (Gott bewahre!) zu erwachsen für solche Bücher geworden bin, oder ob mit der Zeit einfach nur mein Anspruch gewachsen ist. Ich hoffe auf Letzteres.
Definitiv aber war ich im Grunde bereits von Anfang an genervt. Die Anfänge der Geschichte, die Bezeichnungen, der Weltenbau, erinnern mich einfach zu sehr an das Universum einer anderen Autorin. Als hätte man dort einen Haufen der Bestandteile genommen und sie mehr oder weniger neu zusammengewürfelt, um dann die eigene Idee draufzusetzen. Und natürlich ist Inspiration was Tolles und es ist auch schön, Bekanntes, neu umzusetzen oder anders zu beleuchten. Aber ich fand es in diesem Fall zu viel, zu sehr, zu offensichtlich. Und das betrifft nur den Weltenbau und den Anfang der Geschichte.
Am meisten genervt hat mich dann aber am Ende nicht, dass der Ausgang absolut vorhersehbar war (wenn auch netterweise der Cliffhanger gut gewählt ist und noch genug Futter für weitere Bücher übrig lässt), oder dass später noch weitere Elemente mit sehr ähnlichem Wording adaptiert wurden.
Nein, das Schlimmste war die unerträgliche Protagonistin. Lor ist überheblich, zickig, kindisch, unbeherrscht und hört auf absolut gar keinen gut gemeinten Ratschlag. Nichtmal auf die, die sie sich selber gibt. „Ich sollte xyz lassen…. Ach egal, ich mach es einfach“ Und das zieht sich durchs ganze Buch. Man sollte meinen, nach dem ersten Trauma und nachdem sie realisiert hat, was jetzt ihre neue Umwelt ist, verhält sie sich wenigstens im Ansatz vernünftiger. Aber nein. Sie lässt weiterhin jegliche Impulskontrolle, Nachsicht und Überlegung vermissen. Das ist nicht nur zum Augenrollen und Fremdschämen, sondern auch ein bisschen, als würde man einer Dreijährigen dabei zuschauen, wie sie im Supermarkt ausflippt.
Das klingt fies, aber so empfand ich es. Und das ist absolut schade, weil die Geschichte an sich, trotz aller Vorhersehbarkeit und aller bekannten Elemente im Grunde sehr spannend ist. Und man trotzdem Lor gerne durch ihre Prüfungen folgt und sie ihren Weg gehen sieht.
Wäre da etwas mehr Charakterentwicklung in einem steten Prozess sichtbar gewesen und etwas weniger drauf Ausruhen, dass man hübsch ist und der heiße König einen mag, dann wäre es deutlich spannender gewesen. Am Ende macht sie wirklich einen Schritt in die richtige Richtung, aber das hätte ich mir einfach als Entwicklung und nicht als Sprung gewünscht.
Die Vorhersehbarkeit kreide ich dem Ganzen nichtmal an. Ich habe so viele Fantasygeschichten mit der Zeit gelesen, dass ich da wahrscheinlich einfach einen Vorteil (oder Nachteil in dem Falle?) habe und meistens vorher schon weiß, wohin die Reise gehen wird. Aber der Weg dahin wäre für die Lesenden deutlich weniger anstrengend, wenn Lor sympathischer und weniger stressig wäre.
Daher insgesamt ein (Hör)Buch, bei dem ich der Geschichte sehr gerne gefolgt bin, das aber bei den Charakteren Schwächen aufweist. Dennoch unterm Strich zumindest nicht schlecht, denn die Grundidee, der übergeordnete Handlungsstrang hat viel Potenzial und ich bin gespannt auf den nächsten Band – zumal ich davon ausgehe, dass Lor sich mit der Zeit sympathischer verhalten wird.