Die Grenzen der Moral

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christian1977 Avatar

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Trophäenjäger Hunter White hat sein Ziel fast erreicht. Von Afrikas "Big Five" fehlt ihm nur noch das Spitzmaulnashorn. Löwe, Leopard, Büffel und Elefant zieren längst die heimischen Räume seiner Villa. Nun möchte er seiner Frau noch dieses letzte fehlende Geschenk machen. Unterstützung erhält er dabei von seinem Freund und Jagdpartner Van Heeren, der mit der Großwildjagd in Afrika schon seit längerer Zeit ein äußerst lukratives Geschäft betreibt. Doch mit dem prähistorisch anmutenden Dickhäuter ist nicht zu spaßen. Als ein erster Angriff auf das Nashorn schief läuft, macht ihm Van Heeren ein perfides Angebot, das Hunter an dessen moralische Grenzen führt. Wie wird er sich entscheiden?

"Trophäe" ist der neueste Roman der flämischen Autorin Gaea Schoeters, der jüngst in der deutschen Übersetzung aus dem Niederländischen von Lisa Mensing bei Zsolnay erschienen ist. Er dürfte zweifellos einer der polarisierendsten Romane des Jahres werden und auch auf der bevorstehenden Leipziger Buchmesse mit dem Gastland Niederlande & Flandern und dem Motto "Alles außer flach" für Aufregung sorgen. Und flach ist "Trophäe" keinesfalls. Dennoch ist das Buch insgesamt eher eine Enttäuschung, wenn man bedenkt, wie hoch die Vorschusslorbeeren aus den Niederlanden und Belgien waren - inklusive Literaturpreis der belgischen Sabam, dem Pendant zur deutschen GEMA.

Die erste kleinere Enttäuschung liefert dabei tatsächlich schon ein Blick aufs Cover. Dieser Blick des Nashorns, die kleinen Härchen am Ohr, das beeindruckende Horn. Was für ein prächtiges Foto! Denkt man zumindest auf den ersten Blick. Wer war denn dieser talentierte Fotograf? Werfen wir einen Blick auf den Schutzumschlag. Oh, es war die KI! Schade!

Alles andere als artifiziell oder enttäuschend ist hingegen von Beginn an Gaea Schoeters' Sprache. Ganz im Gegenteil ist sie sogar das große Plus des Romans. Es ist bemerkenswert, wie es der Autorin gelingt, dieses aus guten Gründen namentlich nicht näher benannte afrikanische Gebiet zum Leben zu erwecken. Diese drückende Hitze, die Geräusche und Gerüche. Die Schilderung der Landschaft. Die Beobachtung der Tiere. Dazu die plastische und authentisch wirkende Vorbereitung der Jagd. Das alles hat ganz große Sogkraft. In Frankreich wurde "Trophäe" auf dem Buchmarkt als Thriller verkauft. Es ist eine weise Entscheidung, dass Zsolnay das Buch im deutschsprachigen Raum als literarischen Roman herausgebracht hat. Die Intensität der Sprache hätte bei einem typischen Thriller-Publikum wohl nicht die ausreichende Würdigung erfahren. Und auch wenn "Trophäe" durchaus spannende Szenen zu bieten hat, fehlen dem Buch doch entscheidende Merkmale des Genres.

Wobei sich "Trophäe" in seinen schwachen Momenten dann doch den Thriller-Konventionen bedenklich nähert. Da ist zum einen die unerhörte Grausamkeit, die der Roman aufweist. Wer explizite und detaillierte Tötungen von Tieren verachtet und wessen Magen rebelliert, wenn sich ein "schmunzelnder Büffel" auf einen Menschen setzt, um ihm den Bauch mit den Hörnern aufzureißen, der mache besser einen Bogen um "Trophäe". Noch schwerwiegender ist allerdings der Zynismus, den Schoeters ihren Figuren entgegenbringt. Es ist schwierig, diesen näher zu erläutern, ohne auf den - etwas reißerisch - auf dem Klappentext so zitierten "ethischen Mindfuck" (Dimitri Verhulst) einzugehen. Es ist kein guter Umgang der Autorin mit ihren Figuren. Nicht einmal mit Dawid, einem Einheimischen, der so etwas wie der Good Guy des Romans und somit der Gegenpart des widerwärtigen Protagonisten Hunter White - der Name ist natürlich Programm - sein soll. Wenn man das Buch am Ende leicht entnervt zuschlägt, hat man das Gefühl, es gebe eigentlich überall nur Verlierer.

Was Schoeters hingegen hervorragend gelingt, ist die subtile Vereinnahmung ihrer Leserschaft. Es ist im positiven Sinne bemerkenswert perfide, wie sie diesen Hunter White vor allem zu Beginn des Romans darüber philosophieren lässt, warum die Großwildjagd doch eigentlich Naturschutz sei und warum auch das Land nicht nur finanziell, sondern auch ökologisch von seinem perversen Hobby profitiere. Zudem zwingt die Autorin die Leser:innen dazu, sich zu hinterfragen. Wo sind eigentlich die Grenzen von Ethik und Moral? Überschreiten wir diese vielleicht schon, wenn wir uns über ein erschossenes Nashorn aufregen, während wir unser Schnitzel genießen? Und wer regt sich noch über geschredderte Küken auf, wenn ein Großwildjäger seinen Fuß auf den geschossenen Löwen stellt? Hunter White macht dies natürlich nicht. Er sieht sich selbst als moralisch einwandfrei und für einen kurzen Augenblick ist man bereit, ihm zu glauben.

Schwach hingegen ist, dass sich "Trophäe" 250 Seiten lang thematisch wenig bewegt. Eine Jagd folgt der anderen. Mal wird ein Nashorn gejagt, mal ein Büffel, mal ein anderes Raubtier. Natürlich ist dies neben der Moral das Grundthema des Buches, aber etwas weniger monothematisch hätte es schon sein dürfen.

Gaea Schoeters' "Trophäe" ist ein Buch, das auf der einen Seite provozieren und wehtun möchte und auf der anderen Seite eine Haltung einfordert zu großen Themen wie Tier- und Naturschutz und Postkolonialismus. Ein legitimes Ansinnen, das letztlich aber daran scheitert, literarisch zu wenig abwechslungsreich zu sein und durch seinen Zynismus und die Grausamkeiten im Laufe des Romans immer mehr abzustumpfen. So ist die Aufregung um das Buch dann doch so ein wenig wie das Nashorn auf dem Cover: auf den zweiten Blick ein wenig künstlich.