Zehn Jahre zuvor...

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Der Junge Malcolm lebt in einem Gasthaus am Ufer der Themse. Gegenüber liegt ein Nonnenkloster, in dem ein kleines Baby versteckt gehalten wird. Malcolm schnappt im Gasthaus zunehmend Beunruhigendes auf, wenn er den Eltern zur Hand geht und ahnt schon bald, dass die Fremden mit ihren merkwürdigen Fragen mit Vorsicht zu genießen sind. Auch in der Schule muss Malcolm bald vorsichtig sein, als mit dem „Bund des heiligen Alexander“ die Kirche noch stärker in die Welt der Kinder eingreift. Bald weiß Malcolm kaum noch, wem er vertrauen soll. Doch als mit einer großen Flut das Leben des kleinen Babys in Gefahr gerät, weiß Malcolm genau, was seine Aufgabe ist. Er muss das kleine Mädchen Lyra retten. Zum Glück hat er ein Boot, die La Belle Sauvage, und es beginnt eine Fahrt über den wilden Fluss.

Malcolm ist ein kluger, sympathischer, grundehrlicher Junge, den man sofort gern haben möchte. Wissbegierig und gelehrig nähert er sich der Welt der Wissenschaften und ahnt nicht, dass sich um das kleine Mädchen Lyra eine Prophezeiung rankt, die große Mächte auf den Plan ruft. Ihm zur Seite steht später die unnahbare Alice, die sowohl im Kloster als auch im Gasthaus der Eltern aushilft.
Die Geschichte, die zehn Jahre vor der „His-Dark-Marterials“-Trilogie spielt, beginnt sehr ruhig und benötigt etliche Zeit, um ein bisschen in Fahrt zu kommen. Die Spannung wird nur langsam aufgebaut, dafür werden die Charaktere ausführlich eingeführt. Die Parallelwelt mit Dæmonen als Seelengefährten in Tiergestalt, der Kirche als alles lenkende Obrigkeit, der Entdeckung von Staub, Hexen, Alethiometern, mit denen man die Zukunft voraussagen kann und anderen übernatürlichen Dingen wird nicht eigens lange erklärt. Jedoch ist es nicht notwendig, die bereits bestehende Trilogie gelesen zu haben.

Etwa ab der Hälfte des Buches wird es zunehmend packender, denn die Gefahr, in der sich Malcolm und seine Freunde befinden, steigt. Doch auch hier vermag Pullman die Spannung nicht durchgehend halten. Passagen, in denen Malcolm und Alice in einer mystischen (Parallel?)-Welt verlieren, waren für mich verwirrend, auch wenn sich hier vielleicht später noch Zusammenhänge ergeben könnten, denn „Über den wilden Fluss“ ist nicht einfach nur ein Prequel, sondern vielmehr der Auftakt zu einer neuen Trilogie, wobei der zweite Band The Secret Commonwealth 20 Jahre nach „Über den wilden Fluss“ und damit auch nach der ursprünglichen Trilogie spielen wird.

Sehr gefallen hat mir die Sprache Pullmans (resp. die Arbeit der Übersetzerin). Der Schreibstil ist klar und ausdrucksvoll und ich muss zugeben, ich stehe einfach drauf, wenn jemand keine Angst vor dem Genitiv hat.

Die Euphorie, die mich bei der älteren Trilogie sofort erfasst hatte, konnte sich bei „Über den wilden Fluss“ leider nicht wieder einstellen, auch wenn ich die Charaktere sehr mag und die Geschichte einfallsreich und interessant ist. Mir fehlte ein wenig der Überraschungseffekt, der mich umgehauen hätte. Vielleicht hat sich hier im Vorfeld ein zu hohe Erwartungshaltung aufgebaut. Dennoch möchte ich erfahren, wie es weiter geht und wie Pullman seine Geschichten miteinander verknüpfen wird.

© Tintenhain