Hunderte Stimmen erzählen eine Geschichte: berührend, intensiv, unvergesslich

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romy_abroad Avatar

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Der Journalist und Autor Garrett M. Graff erzählt in "Und auf einmal diese Stille: Die Oral History des 11. September" die Geschichte eines Tages, der sich in das kollektive Gedächtnis der westlichen Welt eingebrannt hat. Oder vielmehr lässt er erzählen, indem über 500 Augenzeugen, Überlebende, Feuerwehrleute, Polizisten und deren Angehörige zu Wort kommen. Sie sprechen über ihre Erlebnisse in den Türmen, im Pentagon, an Board der entführten Flugzeuge, in den Einrichtungen der Flugsicherung und des Militärs, in der politischen Zentrale der Vereinigten Staaten, in der Air Force One und an vielen anderen Orten in den USA, die am 11. September eine besondere Rolle spielten. Dabei stehen nicht die politischen Hintergründe im Fokus; stattdessen wirken die Berichte der Augenzeugen wie ein Vergrößerungsglas, das ihre Erfahrungen, ihren Kampf ums Überleben und um Fassung in den Vordergrund rückt. Es geht dabei vor allem um ihre Wahrnehmung, ihre Ängste, die unglaubliche Zerstörung im Herzen New Yorks, aber auch um die Panik, die an diesem Tag um sich griff und um ein Land, das sich plötzlich im Außnahmezustand befindet, sowie um die Hoffnung, und einen gewissen Trotz, der das Räumen der Trümmer begleitete. Die Geschichten, die die vielen verschiedenen Menschen erzählen gehen einem nah und sind von einer Menschlichkeit geprägt, die ich nicht erwartet hätte. Obwohl die meisten Zeitzeugen sich bei ihren Berichten auf den Ablauf des Tages und ihre eigenen Erlebnisse konzentrieren, sind ihre Erzählungen alles andere als nüchtern oder emotionslos. Der 11. September hat nicht nur viele Menschenleben gekostet und viele Angehörige in Trauer zurückgelassen, er hat auch vielen Überlebenden klar gemacht, dass ihnen eine Zukunft geschenkt wurde, die vielen anderen nicht vergönnt war. Das macht das Buch unglaublich inspirierend, ohne dass dafür fiktive Elemente notwendig werden. Allein die Geschichten der Überlebenden erlauben dem Leser einen neuen Blick auf das eigene Leben, aber auch einen neuen Blick auf die Geschichte und die kulturelle Identität der USA, die durch 9/11 geprägt wurde.
Für mich ist das Buch dadurch auf zwei Weisen besonders wertvoll: Es ist eine detaillierte Erzählung der Ereignisse aus einer immensen Anzahl an Perspektiven, sodass kaum ein Detail unbeachtet bleibt. Damit bekommt auch eine Generation, die im Jahr 2001 noch zu jung war um eigene Erinnerungen zu formen die Möglichkeit, diesen historischen Tag minutiös zu durchleben. Darüber hinaus ist es ein Spiegel der amerikansichen Kultur: Während die Anschläge selbst von Eindringlingen verübt wurden, erzählen uns die Reaktionen in der amerikanischen Bevölkerung, die Gedanken der Zeitzeugen und auch die Bewertung der Ereignisse durch die Zivilbevölkerung sowie das Militär mehr über die amerikanische Kultur, als es ein Lehrbuch jemals könnte. Ein wirklich beeindruckendes Buch, das jedem ans Herz gelegt sei, der den 11. September mit ganz neuen Augen sehen will.