Der vielversprechende Anfang verpufft in zäher Langatmigkeit

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viv29 Avatar

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Laura Spence-Ash erzählt in diesem Buch eine ungewöhnliche Geschichte, die anfänglich einen richtiggehenden Zauber entfaltet. Der Schreibstil der Autorin ist bildhaft und sanft, lädt dazu ein, sich von der geruhsam erzählten Geschichte treiben zu lassen. Ich habe dies in der ersten Hälfte des Buches genossen – jedenfalls überwiegend. Leider bedient sich Spence-Ash eines der unangenehmsten Stilmittel überhaupt: sie benutzt keine Anführungszeichen bei wörtlicher Rede. Nur in einem Abschnitt in der Mitte des Buches werden diese benutzt und es ist erstaunlich, wie viel angenehmer und lebendiger dieser Abschnitt dadurch wirkt. Im restlichen Buch wird die wörtliche Rede lediglich durch kursive Schrift gekennzeichnet, auch auf neue Zeilen beim Wechsel des Sprechers verzichtet die Autorin unerklärlicherweise. So fließen die Dialoge ohne Unterscheidung ineinander und man liest in einer Zeile z.B.: Fang nicht wieder an. Was denn. oder: Versuch nicht, auf Teufel komm raus erwachsen zu werden. Ich bin kein Junge mehr. In beiden Fällen soll das einen Dialog darstellen.
Zwar ist der Text nicht so komplex, daß man lange grübeln muß, wo eine wörtliche Rede aufhört und die Antwort anfängt, aber nichtsdestotrotz beeinträchtigt es den Lesefluss. Ich werde nie verstehen, warum Autoren zu diesem überflüssigen und albernen Mittel greifen, und ich habe noch keinen einzigen Text gesehen, der dadurch gewonnen hätte. Dieser Text hat dadurch in mehrerlei Hinsicht gewaltig verloren. Abgesehen von der Beeinträchtigung des Leseflusses und der Lesefreude wirkt die Erzählung dadurch leblos, blass. Das wirkt sich auch auf die Charaktere aus, denen es so ebenfalls an Leben und Eindringlichkeit fehlt. Ich habe immer wieder gemerkt, wie viel stärker die Szenen ohne Dialoge wirken und wie sehr die Dialogszenen durch die fehlenden Anführungsstriche abfallen.

Und so bleiben die Charaktere leider auch größtenteils blass, was sicher auch an dem allgemein eher berichtsartigen Schreibstil liegt. Dieser ist zwar keineswegs unangenehm, abgesehen von den fehlenden Anführungsstrichen hat er etwas erfreulich Eigenes, beschwört außerhalb der Dialogszenen die Szenen oft gelungen herauf. Er ist leise und auf diese leise Art oft sehr berührend. Leider aber gleitet das Geschehen meistens emotionslos an den Lesern vorbei. Gefühle werden beschrieben, nie gezeigt (Spence-Ash scheint kein Fan von „show, don’t tell“ zu sein), die Charaktere werden oft nur angerissen, Konflikte nur angedeutet, um dann zu verpuffen. Wir erleben die Charaktere nur selten, sondern sie werden uns berichtet. Trotzdem liest sich diese leise Erzählung durch ihr interessantes Sujet in der ersten Hälfte des Buches meistens erfreulich. Wir erfahren recht vignettenhaft über Beatrix‘ Jahre in den USA, fern von ihren Eltern, und wir sehen, wie sich diese lange Trennung während solch prägender Jugendjahre auf sie und ihre Eltern auswirkt, erleben auch, wie sie ihrer Gastfamilie immer näher kommt. Sogar die Elternpaare nehmen auf eine ungewöhnliche Weise mittels eines Schachspiels Kontakt zueinander auf, und so spinnt die Autorin ein zartes Geflecht aus allerlei Beziehungen und man ist gespannt, wie es sich entwickeln wird.

Dann kommt ein zeitlicher Sprung in die 1950er. Dadurch werden leider einige interessante Aspekte, die im ersten Teil angerissen wurden, nicht mehr aufgegriffen und Dinge, deren Auflösung ich gespannt erwartete, verpufften einfach. Dafür wurde dieser 1950er-Abschnitt auf andere Weise spannend (und gewann durch die hier verwendeten Anführungszeichen bei wörtlicher Rede enorm an Echtheit und Unmittelbarkeit). Hier fühlte ich am meisten mit, war am meisten involviert und genoss die Lektüre am meisten.

Und dann … fällt das Buch für mich erheblich ab. Wir springen erneut, in die 1960er, und es folgt Seite auf Seite zäher Alltäglichkeit. Es passiert so gut wie nichts und die wenigen Entwicklungen versinken in langatmigen, unendlich wirkenden Erzählungen über Alltagsroutine. Hier machte sich auch bemerkbar, daß einige der Charaktere schlichtweg nicht ausreichend angelegt waren – sie interessierten mich nicht genug, um ihnen bei ihrer täglichen Routine zu folgen. Die Beziehung zwischen Beatrix und der amerikanischen Familie wird hier etwas künstlich weitergeführt, der gesamte Abschnitt wirkt eher gequält, als ob die Autorin nicht so richtig wüßte, womit sie die Seiten füllen solle, bis das nächste relevante Ereignis eintritt. Alles zieht sich dermaßen, daß das einschneidende Ereignis mich kaum noch berührte. Ich konnte auch die Handlungen der Charaktere immer weniger nachvollziehen. Und so verlor mich das Buch in der zweiten Hälfte mit jeder Seite mehr. Das Ende überzeugte mich nicht – die vielversprechenden Ansätze der ersten Hälfte wurden meiner Meinung nach leider einfach verschenkt.

Die erste Hälfte hatte etwas Besonderes und war angenehme Lektüre, die zwar leicht ist, aber dennoch Substanz hat. Die zweite Hälfte war für mich ein Beispiel dafür, wie man eine vielversprechende Idee ins Nichts zerfließen lassen kann.