Authentisch

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
solie Avatar

Von

"Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster" und ich haben lange gebraucht, um miteinander warm zu werden. Die ersten gut 100 Seiten des Buches (also gut das erste Drittel) konnte ich wenig mit den Figuren anfangen. Sie wirkten zu stereotyp, zu klischeehaft. Ich habe für die ersten 100 Seiten fast zwei Wochen zum Lesen gebraucht.

Die letzten 185 Seiten gingen in zwei Stunden. Dieser Roman ist einmal mehr der Beweis dafür, dass man jedem Buch eine Chance von mindestens 100 Seiten geben sollte, bevor man es zur Seite legt. Denn mein Eindruck die Figuren betreffend wandelte sich: aus "klischeehaft" wurde "authentisch".

Authentizität und Ehrlichkeit sind auch die beiden Begriffe, die diesen Roman perfekt beschreiben. Fred Wiener ist und bleibt vielleicht jemand, dem ich ungern persönlich die Hand schütteln würde, doch für seinen Sohn Phil habe ich ein liebevolles Lächeln übrig und für Karla, nun, Respekt.

Ich habe bereits viele Romane gelesen, die Sterbehilfe oder Sterbebegleitung thematisieren, und sie haben alle das gewisse Etwas. Auch dieser Roman steht dem in nichts nach. Es ist schön zu sehen, wie Karla sich entwickelt, wie sie ihre Wut über den bevorstehenden, unaufhaltsamen Tod an anderen auslässt - und sich dann "ergibt". Ein besseres Wort hätte die Autorin für diese Figur im Angesicht ihres eigenen Todes nicht schreiben können.

Der Roman ist kurzweilig, unterhaltsam und traurig. Er hat also alles, was ein Roman mit diesem Thema braucht. Er wird getragen von einer weiblichen Protagonistin, von der man sich wünscht, diese Stärke einmal selbst erleben zu dürfen. Er wird unterstützt von einem unsicheren Mann, der an Sicherheit gewinnt, und von einem Jungen, der langsam erwachsen wird. Eine alles in allem gelungene Komposition.

Fünf Sterne, Hut ab und viel Nachdenklichkeit. Ein kurzweiliger Roman, ja, aber er hört nicht auf der letzten Seite auf. Man nimmt ihn mit.