Handwerklich gut gemacht, aber mit Luft nach oben

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singstar72 Avatar

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In letzter Zeit sind Nachkriegs-Familiengeschichten ja zu einer kleinen Mode geworden. Ich denke da nur an Peter Prange, sowie Stephanie Schuster mit ihren "Wunderfrauen". Ich wollte wissen, ob sich Carmen Korn in diese Riege einreihen lässt, zumal der Klappentext solide Unterhaltung versprach. Mein Fazit lautet zu einem großen Teil ja, aber mit einer winzigen Spur nein.

Die Geschichte ist größtenteils schriftstellerisch solide gemacht. Wir haben es mit sympathischen, menschlich nachvollziehbaren Figuren zu tun, die es so wirklich gegeben haben könnte: die Aldenhovens in Köln, die Borgfeldts in Hamburg, und die Cannas in San Remo. Diese drei Familien sind durch Freundschaft und Verwandtschaft miteinander verbunden, und später auch durch das Schicksal.

Man muss sich ein wenig an das Hin- und Herspringen der Autorin gewöhnen, damit man nicht den Überblick verliert. Beständig wechselt sie zwischen Köln, Hamburg, und San Remo. Das gelingt anfangs recht gut, doch hatte ich im Verlauf des Buches den Eindruck, dass sie das Tempo immer mehr anzieht, und oberflächlicher wird. Die Kapitel sind nach Jahreszahlen eingeteilt, und während man Anfang der 50er noch Einträge aus November oder Dezember vorfindet, werden spätere Jahre schon im Juni oder Juli abgehandelt. Auch hat mich leicht irritiert, dass sehr schicksalhafte Ereignisse oft erstaunlich emotionslos daherkommen. Der Tod einer wichtigen Nebenfigur dauert gerade mal einen Absatz!

Ebenfalls leicht irritiert hat mich die sehr betuliche Schreibweise. Ich wage zu zweifeln, ob sich Menschen in den 50er Jahren wirklich so ausgedrückt haben, zumal es durchaus viele Dialoge gibt. Beständig wird das einfache Präteritum verwendet, und sorry, aber so redet doch kein Mensch! "Als du arbeitetest", "während du schliefest"... An mehreren Stellen scheinen mir auch eindeutige Fehler vorzuliegen. "Ihr habt das zu sehr auf Kante genäht", sagt an einer Stelle eine ältere Frau zu einer jüngeren. Ich hingegen meine, dies ist eine Redewendung aus der Neuzeit!

Doch es soll hier kein falscher Eindruck entstehen. Viele Dinge haben mir auch ausgesprochen gut gefallen. Die Atmosphäre der 50er ersteht nachvollziehbar vor meinen Augen. Es geht um Familienverhältnisse, ungewollte vs. gewollte Schwangerschaften, Kriegsheimkehrer, ausgebombte Verwandte, einquartierte Fremde, um mühsam erworbene Annehmlichkeiten und Anschaffungen. Nur der Handlungsstrang um die Kunstgalerie, und die Geschichte eines bestimmten Gemäldes, hat mich leicht überfordert. Das war mir zu verworren.

Die Figuren, auch die schwierigen, waren mir nahezu alle sympathisch, und ich sah sie geradezu vor mir. Die Tochter, die sich nicht traut, sich auf eine neue Liebe einzulassen, weil ihr Mann im Krieg als vermisst gemeldet wurde. Die andere rebellische Tochter, die sich auf eine Beziehung mit einem älteren Mann einlässt, und unverheiratet bleibt. Die Ehefrauen mittleren Alters, die ihren Männern den Rücken frei halten, gut kochen, und sich um die Familie sorgen. Ja, so war das damals wohl! Lediglich die italienische Matriarchin Agnese blieb für mich zu sehr im Hintergrund. Dafür, dass sie viele Fäden in der Hand hält, kommt sie mir zu selten wirklich vor. Nur in einer einzigen Szene, und das auch nur am Rande!

Insgesamt habe ich mich gut unterhalten gefühlt, und finde nur, dass die Schreibweise der Autorin deutlich Luft nach oben bietet für meinen Geschmack. Auch habe ich erst später erfahren, dass dieses Buch wohl nur der Auftakt sein soll; das erklärt für mich das etwas abrupte Ende, das ins Leere läuft. Ich würde dieses Buch durchaus guten Gewissens allen Fans von lebendigen Familiengeschichten empfehlen.