Eine Nacht zu viel....

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annabelle Avatar

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Bewegende Erinnerungen einer Holocaust Überlebenden, die nach 70 Jahren einen Brief an ihren Vater schreibt, den dieser nie lesen wird. Denn er „ist nicht zurückgekommen“.
Marceline ist 15 Jahre alt als sie gemeinsam mit ihrem Vater verhaftet und nach Auschwitz deportiert wird. Ihr Vater, polnischer Abstammung, hatte einst seine Heimat verlassen und in Frankreich ein neues Leben begonnen. Doch mit Einzug der Nazis gerät dieses neue Leben der jüdischen Familie Rozenberg in Gefahr. Eine Nacht zu lange sind sie geblieben in ihrem Haus bevor sie die Flucht antraten. Vater und Tochter werden verhaftet, zurück bleiben die Mutter und die Geschwister.

In Auschwitz angekommen werden der Vater im Stammlager und die Tochter im drei Kilometer entfernten Lager Birkenau inhaftiert. Beide werden als Zwangsarbeiter versklavt. Nur einmal noch treffen sich Vater und Tochter wieder, als sich ihre Arbeitskommandos begegnen. Ein kurzer Moment nur, in dem sie sich ein letztes Mal in den Armen liegen. Später gelingt es dem Vater, ihr eine kurze Nachricht zukommen zu lassen. Ein kleines Stück Papier nur, mit wenigen Worten darauf.
Das Mädchen liest diese Zeilen, fragt sich in diesem Moment woher der Vater Papier und Stift besorgen konnte. Über den Verbleib des Briefes kann sie später nichts mehr sagen – die Worte, die der Vater ihr sandte, hat sie vergessen.
Zeit Lebens versucht sie sich an diese Worte zu erinnern. Die letzten Worte ihres Vaters, dessen Verlust sie nie überwinden wird.
70 Jahre später schreibt sie ihm einen Brief, wissend, dass er ihn nie lesen wird. Sie berichtet vom Leben im Lager, wo die Zukunft nur fünf Minuten dauert. Von der Verrohung, dem Zerfall der Menschen, dem Verlust des Bezugs zum Leben. Vom Erfrieren von Innen, um nicht zu sterben.
Zunächst als Arbeitskraft im Magazin Kanada (Lagersprache für diese Baracke) eingesetzt, muss sie dort die Habseligkeiten der bereits ins Gas geschickten Menschen sortieren. Später wird sie zu anderen körperlich schwereren Tätigkeiten gezwungen, bevor man sie nach Bergen-Belsen und in weitere Lager verlegt. Zum Schluss nach Theresienstadt, wo sie befreit wird. Auf Umwegen gelangt sie auch wieder nach Hause, doch hier hätte man lieber den Vater wieder begrüßt.

„Und du bist nicht zurückgekommen“ ist ein bewegendes Zeitzeugnis. Man leidet mit, vor allem auch nach der Rückkehr, als sich diese junge, um ihre Jugend betrogene und durch die Hölle gegangene Frau, zurück ins Leben kämpft. Zurückkommen heißt nicht Überleben – dieser Satz sagt alles….
Der Bruder, der am Verlust des Vaters zerbricht. Die Mutter, die von ihren Erlebnissen nichts wissen will. Niemand, der ihre Erinnerungen hören will.
Ein Hotelzimmer mit Dusche – unmöglich dort zu wohnen. Bahnhöfe, die bis heute ein unangenehmes Gefühl auslösen.
Am meisten beeindruckt hat mich der Satz:
„Es ist beinahe ein Glück zu wissen, wie unglücklich man sein kann.“

Ich habe beruflich bedingt die Gedenkstätte Auschwitz besuchen können. Das eigentliche Stammlager Auschwitz und das in der Nähe liegende zweite Lager Birkenau. Die Bilder des „Tor des Todes“, durch das die Züge auf das Gelände fuhren, dürften jedem bekannt sein. Beim Lesen des Buches hatte ich die Weitläufigkeit des Geländes vor Augen, die riesige Anzahl der Baracken, die dort gestanden haben müssen. Und die Ruinen der Krematorien, die von den Nazischergen im letzten Moment noch gesprengt wurden. Auschwitz – Birkenau ist der größte jüdische Friedhof der Welt.

Ich verneige mich vor der Autorin M. Loridan-Ivens und bedanke mich für dieses Buch.