Sich vom Ego befreien

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gabriele 60 Avatar

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Es gibt viele Bücher, die sich der Bibel und den darin stehenden Erzählungen zu nähern versuchen. Das vorliegende Buch hat das gleiche Ziel. In diesem - als Roman bezeichneten - Schriftwerk, das sehr viele Elemente eines Sachbuches enthält, sucht die Protagonistin Alice nach der Wahrheit. Eigentlich ist sie eine rationale, in einem atheistischen Elternhaus aufgewachsene Frau, die sich als Kommunikationsberaterin etabliert hat. Da sie ihrem Jugendfreund Jérémie, der als Priester meist vor einem recht leeren Gotteshaus seine Messen hält, Hilfe versprochen hat, vertieft sie sich ins neue Testament, das ihr viel offener vorkommt, als die verkrusteten Rituale der katholischen Kirche. Sie entdeckt Ähnlichkeiten in den Aussagen von Laotse (600 Jahre vor Christus) und Jesus. Auch den Hinduismus und den Buddhismus sieht sie sich näher an...

Der 1966 geborene französische Schriftsteller Laurent Gounelle hat sich intensiv mit der Philosophie der östlichen Weisheitslehren beschäftigt und schon mehrere Bücher über Selbstfindung geschrieben. Auch in diesem Buch geht es um den Unterschied zwischen Anpassung und eigener Stärke. Nicht alles ist für mich unmittelbar nachvollziehbar (zum Beispiel wie es möglich ist, innerhalb kurzer Zeit das Neue Testament gleich mehrmals zu lesen und zu verstehen). Doch die Suche nach dem Glück, die durch das Loslösen vom Ego (und Alices Ansatz) zeigt, wie man eventuell zum Ziel kommen könnte, scheint sich durch alle Religionen zu ziehen. Wieder einmal stellt sich die Frage: Wer und wo ist Gott? Der Autor gibt keine Antworten, schenkt dem aufmerksamen Leser dafür aber viele Denkansätze.

Warum ich trotz des Lobes nur vier Sterne gebe? Die teils märchenhafte Geschichte um all die ins Buch eingeflossenen Weisheiten ist für mich unglaubwürdig. Da bleibt vor allem eine Frage offen: Wie schafft es eine viel beschäftigte Frau mit Familie, das Leben einer ganzen Kirchgemeinde so grundlegend umzukrempeln?

Ein Zitat von Alices Vater möchte ich den Lesern dieser Besprechung nicht vorenthalten: „Das Alter hat mir die Möglichkeit gegeben, mich von meinen Hirngespinsten zu befreien … In der Realität zu leben. Und die ist glückbringender als irgendwelche Hirngespinste.“ (Seite 140)